Es gibt im Gehirn verschiedene Asymmetrien, die bekannteste ist die Linkshändigkeit. „Wir wissen, dass die Kinder von Linkshändern überzufällig häufig auch Linkshänder sind“, sagt Privatdozent Dr. Sebastian Ocklenburg vom Institut für kognitive Neurowissenschaft der Ruhr-Universität Bochum (RUB), der die aktuelle Studie leitete. „Diese Asymmetrie ist also erblich. Wir wollten nun wissen, ob das auch für die Asymmetrie der Sprachverarbeitung im Gehirn gilt.“
Smartphone-App zweckentfremdet
Dazu mussten die Forscher Familien aus beiden Elternteilen und dem Kind untersuchen – eine aufwendige Angelegenheit, wenn alle drei jeweils zu Tests an die RUB reisen müssen. Daher nutzten die Wissenschaftler eine Smartphone-App, die an der Universität Bergen in Norwegen entwickelt worden war. Ursprünglich diente sie dazu, schizophrene Patienten zu untersuchen, die unter akustischen Halluzinationen leiden. Für den neuen Zweck war sie aber genauso gut geeignet.
Rechtes oder linkes Ohr
Testteilnehmer bekamen über Kopfhörer von ihrem Handy verschiedene Silben vorgespielt, zum Beispiel „ba" auf einem Ohr und „pa" auf dem anderen. Sie sollten dann auf dem Display auswählen, welche Silbe sie deutlicher gehört haben. „Weil die Eingangsinformationen aus dem rechten Ohr in der linken Gehirnhälfte verarbeitet werden und umgekehrt, konnten wir daraus schließen, welche Hirnhälfte bei der Sprachverarbeitung dominant ist“, erklärt Ocklenburg.
Gene oder Erziehung?
Es stellte sich heraus, dass die Seitenvorliebe der Eltern sich nicht auf die der Kinder übertrug. Ein deutlicher elterlicher Einfluss zeigte sich aber auf die Fähigkeit der Kinder, sich auf die Sprachinformationen einer Seite zu konzentrieren. Hatten die Eltern eine starke kognitive Kontrolle über ihre Aufmerksamkeit, hatten das auch die Kinder. Folgestudien sollen nun zeigen, ob sich die Fähigkeit vererbt, also genetisch weitergegeben wird, oder sich durch die Erziehung vermittelt.
App bietet große Chancen für die Forschung
Neben den eigentlichen Ergebnissen der Studie freut Sebastian Ocklenburg die Bestätigung, dass sich dank Smartphone-App eine große Familienstudie mit sehr wenig Aufwand äußerst kostengünstig durchführen lässt. „Die Probanden konnten in ihrem eigenen Wohnumfeld an der Studie teilnehmen. Dadurch sind wir nah am ‚echten Leben‘. Die oft verrufenen Smartphone-Apps sind also nicht nur schlecht, sondern bieten tolle Anwendungsmöglichkeiten für die Forschung.“
Quelle: Ruhr-Universität Bochum
Originalpublikation: Sebastian Ocklenburg et al.; Investigating heritability of laterality and cognitive control in speech perception; Brain and Cognition, 2016; DOI: 10.1016/j.bandc.2016.09.003