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Frau am Labor-Computer.

Max-Planck-Forschende erzielen Durchbruch mithilfe von computerbasiertem Proteindesign. © shironosov / iStock / Getty Images Plus

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Algorithmen: Entwicklung neuer immuntherapeutischer Proteine vorangetrieben

Proteine übernehmen im menschlichen Körper zahlreiche Stoffwechselfunktionen. Ihre spezifischen Aufgaben bestimmen sich durch ihre räumliche Molekülstruktur, deren Architektur anhand kompakter Faltungen ein genetischer Bauplan aus Aminosäuresequenzen bestimmt. Neueste Entwicklungen im computergestützten Proteindesign erlauben es, Sequenz- und Strukturänderungen von Proteinmolekülen zu simulieren, um neuartige Wirkstoffe in der Humanmedizin zu entwickeln.

Die Entwicklung neuartiger und zielgerichteter Proteintherapeutika unterlag bisher zahlreichen Herausforderungen. Forschungsprozesse erschienen langwierig und schwer vorhersagbar, Wirkstoffe zeigten nicht immer die gewünschte Aktivität oder Stabilität. Mithilfe computergestützter Verfahren kann seit Kurzem die Entwicklung proteinbasierter Wirkstoffe jedoch äußerst genau und um ein Vielfaches schneller als bislang üblich vorangetrieben werden.

Gemeinsam mit einem internationalen Verbund aus Wissenschaftler*innen aus Deutschland, den USA und dem Vereinigten Königreich stellen die Max-Planck-Forscher Mohamad Al Gamacy und Andrei Lupas eine Lösung anhand einer auf modernsten Computeralgorithmen basierenden Restrukturierungsstrategie zur Evolution von Proteinvarianten vor und zeigen es am Beispiel des an der Blutbildung beteiligten Peptidhormons G-CSF auf.

In seiner Rolle als Zytokin wird es häufig bei der Behandlung von Neutropenie, einer Erkrankung des blutbildenden Systems, eingesetzt. Es regt die Bildung von Granulozyten, weißen Blutkörperchen, im Knochenmark an. Zudem ist es für die reibungslose Funktion des Immunsystems sowie für die Ausschwemmung von Stammzellen aus dem Knochenmark ins Blut mitverantwortlich.

Wirksamkeit als Zytokinwirkstoff

„Um das klinische Potenzial unserer neu entwickelten Proteine zu untersuchen, haben wir ihre biologische Aktivität unter anderem in menschlichen Stamm- und Vorläuferzellen untersucht. Sie aktivierten den Signalweg des Peptidhormins G-CSF und lieferten reife weiße Blutkörperchen aus ihren Stamm- und Vorläuferzellen“, erklärte Andrei Lupas, Direktor der Abteilung Proteinevolution am Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen und geschäftsführender Direktor des Friedrich-Miescher-Laboratoriums.

Die Forschenden wollten vor allem die Löslichkeit und Stabilität des Proteins mit Blick auf eine verbesserte Wirksamkeit als Zytokinwirkstoff hin verbessern. Hierzu passten sie Teile der komplexen Faltungsstrukturen des Proteinmoleküls an, indem sie die Sequenz seiner Aminosäuren modifizierten und optimierten.

Beim Durchtesten von vier unterschiedlichen Varianten, sie nannten sie Boskar 1 bis 4, zeigte sich eine, Boskar4, besonders aktiv, wärmestabil und auch beständig gegen unerwünschte Aufspaltungen durch Enzyme. Und obgleich sich alle vier Designs zum Teil merklich vom Ursprungsprotein unterschieden, regten in Versuchen an menschlichen Stammzellen alle die Bildung reifer Blutzellen an.

In-vivo-Forschung mit Stammzellen

Wie das internationale Forscherteam anhand von Analysen in lebenden Zellen zeigen konnte, waren die Granulozyten in der Lage, ihre bekannten Aufgaben im Immunsystem auszuführen. Bemerkenswert war anhand der Versuchsreihen, dass die neu geschaffenen Proteinvarianten anhand ihrer Wirkung auch in Modellorganismen wie dem Zebrafisch oder der Maus Erfolg zeigten.

„Die gewonnen Ergebnisse, die wir in-vivo an menschlichen Stammzellen und auch anhand von zwei Tiermodellen nachweisen konnten, zeigen die Anwendungsvielfalt computergestützten Proteindesigns bei der Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze, ohne dass kostspielige und langwierige Untersuchungen erforderlich sind“, bekräftigt Mohammad Al Gamacy, Letztautor der Studie.

Die künftige Entwicklung neuartiger Proteintherapeutika könnte angesichts klinischer Unzulänglichkeiten bisheriger Behandlungsstandards ebenfalls große Fortschritte machen, so die Autoren der Studie.

Orale Verfügbarkeit verbessert Lebensqualität

So können die Neuformulierungen der Boskar-Designs etwa zur Therapie von Immunerkrankungen wie auch zur Krebstherapie oral verfügbar gemacht werden, was die Lebensqualität von Patient*innen mit Neutropenie verbessere. Bisher sind Menschen mit einem vererbten pathologischen Mangel an weißen Blutkörperchen auf eine tägliche Infusion angewiesen.

Eine weitere Chance wird bei der Behandlung von Menschen mit Neutropenie gesehen, die aufgrund von Vererbung nicht auf Standardtherapien ansprechen. Die Boskar-Designs des Forscherteams haben unterschiedliche Bindungs- und Signalcharakteristika und könnten so die Unzulänglichkeiten rekombinanter Zytokintherapien überbrücken, so die Wissenschaftler.

Die Max-Planck-Forscher arbeiten nun daran, Proteine zu entwickeln, die bei einer Vielzahl von Krankheiten eingesetzt werden können, die die Blutbildung beeinträchtigen, einschließlich Knochenmarkversagen.

Quelle: Max-Planck-Institute Tübingen


Originalpublikation: Skokowa, J., ElGamacy, M. et al.; A topological refactoring design strategy yields highly stable granulopoietic proteins; Nature Communications, 2022; DOI: 10.1038/s41467-022-30157-2

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