Branche
on
Neurologische Krankheit

Beim Schlaganfall hat man ein thrombosiertes Gefäß, die Nervenzellen werden nicht ausreichend versorgt und gehen unter. © peterschreiber.media / iStock / Getty Images Plus

|

Entzündungsprozesse: Erkenntnisse der Immunologie zur Behandlung neurologischer Krankheiten nutzen

Die Immunologie spielt auch bei neurologischen Krankheiten jenseits der typischen neuroimmunologischen Indikationen als „Sparringspartner“ der Neurologie eine große Rolle. Denn Inflammationsprozesse sind nicht nur bei den neurologischen Indikationen beteiligt, die als entzündliche Erkrankungen klassifiziert werden, sondern scheinen zu den globalen pathophysiologischen Mechanismen vieler neurologischer Erkrankungen zu gehören, z. B. Demenzerkrankungen, Hirntumoren oder Schlaganfällen. Daraus ergeben sich therapeutische Überlegungen, auch bei primär nicht entzündlichen neurologischen Krankheiten mit Entzündungsmodulatoren einzugreifen, um neurodegenerative Prozesse zu verzögern oder gänzlich aufzuhalten.

​„Den diesjährigen Kongress der DGN haben wir unter das Motto ‚Neurologie und Immunologie – gemeinsame Perspektiven!‘ gestellt“, erklärt Kongresspräsident Prof. Dr. Sven Meuth, Düsseldorf. „Das bedeutet aber keineswegs, dass wir uns nur auf neuroimmunologische Erkrankungen wie z. B. die Multiple Sklerose fokussieren. Im Gegenteil, es geht um die Neurologie in ihrer ganzen thematischen Bandbreite und die Möglichkeit, durch die Einbeziehung der Immunologie neue Perspektiven für das gesamte Fach zu schaffen.“

Inflammation: Ursache für Nervenzelluntergang?

Hier liegt nach Ansicht des Kongresspräsidenten ein großes, noch weitgehend ungehobenes Potenzial für unser Fach. „Wir ‚labeln‘ neurologische Erkrankungen und grenzen sie klar voneinander ab. Da ist ein Schlaganfall ein Schlaganfall und eine MS eine MS, das eine hat vermeintlich nichts mit dem anderen zu tun. Betrachtet man aber die dahinterliegenden pathophysiologischen Mechanismen, erkennt man frappierende Ähnlichkeiten.“

So ist die MS eine inflammatorische Erkrankung, bei der Entzündungsreaktionen zum Nervenzelluntergang führen. Beim Schlaganfall hat man ein thrombosiertes Gefäß, die Nervenzellen werden nicht ausreichend versorgt und gehen unter, was sekundär dann ebenfalls zu einer Entzündungsreaktion und in der Folge zum Nervenzelluntergang führt.

S100-Proteine als Entzündungsmarker

Eine aktuelle chinesische Studie1 zeigte, dass S100A8 (MRP8) und S100A9 (MRP14) als Vermittler der Entzündungsreaktion eine Rolle spielen und bei verschiedenen Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) wie Alzheimer, Parkinson, Multipler Sklerose und Schlaganfall deutlich erhöht sind. Beide Proteine werden von Neutrophilen und Monozyten freigesetzt und spielen eine Schlüsselrolle bei der Regulierung der Entzündungsreaktion.

Sie könnten somit einen neuen Biomarker oder sogar ein neues therapeutisches Target darstellen. Auch andere mit der Inflammation in Verbindung stehende Proteinkomplexe werden derzeit erforscht und es ergeben sich direkte therapeutische Überlegungen, mit Entzündungsmodulatoren bei primär nicht entzündlichen Krankheiten einzugreifen, um neurodegenerative Prozesse zu verzögern oder gänzlich aufzuhalten2,3. Verschiedene sich in der Prüfung befindliche Pharmaka versuchen daher, membranständige oder zytosolische Immunrezeptoren wie Trem2, TAM-R oder das NLRP3-Inflammasom zu modulieren.

Neue Therapien nach Schlaganfall

Entsprechend gibt es z. B. erste Studien zum Einsatz von MS-Medikamenten nach einem Schlaganfall, um die sekundären Entzündungsreaktionen zu blockieren4,5. Diese Ansätze haben zwar noch nicht den gewünschten Erfolg gebracht, zeigen aber, in welche Richtung das konzeptionelle Denken gerichtet ist. Zumal ein „Drug Repurposing“ den großen Vorteil hätte, dass bereits Sicherheitsdaten über einige Jahre vorliegen. „Wenn man den Untergang von Nervenzellen infolge eines Schlaganfalls stoppen kann, können wir möglicherweise solche neurodegenerativen Prozesse auch bei anderen Erkrankungen beeinflussen“, so Meuth.

Auch in der Neuroonkologie geht es immer mehr um immunologische Fragen. Man versucht, mit Impfstrategien gegen Tumorbestandteile via Entzündungsreaktion den Tumor anzugreifen und über die neuen onkologischen „Blockbuster“ CAR-T-Zell- oder Checkpoint-Inhibitoren die Immunreaktion zu verstärken. „Entzündliche Komponenten tragen bei fast allen Krankheiten relevant zum Krankheitsgeschehen bei und wir können interdisziplinär, aber auch innerhalb unseres großen Fachs voneinander lernen“, so Meuth.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.


Originalpublikationen: 

  1. Qi Tian et al.; Inflammatory role of S100A8/A9 in the central nervous system non-neoplastic diseases; Brain Res Bull, 2024 DOI: 10.1016/j.brainresbull.2024.111100
  2. Jialing Peng et al.; Idebenone attenuates cerebral inflammatory injury in ischemia and reperfusion via dampening NLRP3 inflammasome activity; Mol Immunol, 2020, DOI: 10.1016/j.molimm.2020.04.013.
  3. Peng Yin et al.; Role of TREM2 in immune and neurological diseases: Structure, function, and implications; Int Immunopharmacol, 2024, DOI: 10.1016/j.intimp.2024.113286.
  4.  Jacob Elkins et al.; Safety and efficacy of natalizumab in patients with acute ischaemic stroke (ACTION): a randomised, placebo-controlled, double-blind phase 2 trial; Lancet Neurol, 2017, DOI: 10.1016/S1474-4422(16)30357-X.
  5. Mitchell S V Elkind et al.; Natalizumab in acute ischemic stroke (ACTION II): A randomized, placebo-controlled trial; Neurology, 2020, DOI: 10.1212/WNL.0000000000010038.

Newsletter abonnieren

Newsletter Icon MTA Blau 250x250px

Erhalten Sie die wichtigsten MT-News und Top-Jobs bequem und kostenlos per E-Mail.

Mehr zum Thema

Hepatitis-E-Viren
Gliazellen

Das könnte Sie auch interessieren

Menschliche Leber mit hervorgehobener roter Entzündung bei kranker Person
Leber im menschlichen Körper
Menschlicher Körper Bauchspeicheldrüse