Wenn man ein Virus bekämpfen möchte, muss man es erst einmal vermehren können: Was auf den ersten Blick paradox erscheinen mag, ist aus Sicht von Sigrun Smola jedoch zwingend erforderlich. Die Professorin und Direktorin des Instituts für Virologie an der Universität des Saarlandes ist zugleich Leiterin einer Forschungsgruppe für die Wirkstoffentwicklung gegen persistierende virale Infektionen am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS).
Gefahr für Transplantationspatienten
Für sehr viele Virusinfektionen gibt es noch keine wirksamen Medikamente, und dies gilt auch für das weit verbreitete BK Polyomavirus. Über 70 Prozent aller Menschen sind mit dem Virus infiziert, das dann in den Nieren und den Harnwegen schlummert. Für immungesunde Menschen ist dies in der Regel vollkommen harmlos. „Für Menschen mit einer Spenderniere hingegen kann das Virus sehr gefährlich werden“, erklärt Sigrun Smola.
Erhalten Patientinnen und Patienten ein Spenderorgan, muss ihr Immunsystem gezielt geschwächt werden, um eine Abstoßungsreaktion des Körpers gegen das fremde Organ zu vermeiden. In dieser Phase kann das BK Polyomavirus in der transplantierten Niere außer Kontrolle geraten und sich wieder massiv vermehren. „In der Folge kann die transplantierte Niere geschädigt werden, bis hin zum kompletten Verlust des Spenderorgans“, erläutert die Medizinerin.
Wildtyp-Viren verhalten sich anders
Daher ist es wichtig, den Feind in Gestalt des BK Polyomavirus genau zu kennen. Das Problem für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Sigrun Smola war bisher aber, dass sich der Virusstamm, von dem die Erkrankung in Patienten ihren Ausgang nimmt, kaum im Labor vermehren ließ. „Somit war natürlich auch die gezielte Forschung an Wirkstoffen gegen diese Viren sehr schwierig“, so Sigrun Smola, und „man musste sich mit Laborstämmen begnügen“. Das machte die Suche nach schlagkräftigen Wirkstoffen gegen diese Viren, die ohnehin sehr wenige Angriffspunkte bieten, bislang sehr schwierig.
Dank des Teams um Sigrun Smola und ihrer Kooperationspartner kann dieser Kampf nun aber sehr viel zielgenauer geführt werden. Denn wie die Wissenschaftler in einem Artikel in der renommierten Fachzeitschrift Journal of Medical Virology dargelegt haben, ist ihnen die effiziente Vermehrung von Wildtyp-Viren gelungen, so dass sie diese nun weiter charakterisieren können. Sie konnten erstmalig zeigen, dass die Wildtyp-Viren eine völlig andere Reaktion gegenüber einem wichtigen Botenstoff der menschlichen Immunantwort, dem so genannten Tumornekrosefaktor, zeigen als Laborstämme.
Effektivere Medikamentenentwicklung
„Wir konnten nun beobachten, dass Tumornekrosefaktor die Vermehrung des Wildtyps hemmt, die Vermehrung des Laborstamms dagegen fördert“, erläutert Sigrun Smola. Diese unterschiedliche Reaktion der Virusstämme auf den Immunbotenstoff war bislang nicht bekannt. „Auch bei unseren ersten Wirkstofftests sehen wir solche Unterschiede. Das heißt, Laborstamm und Wildtyp-Virus können auf Medikamente unterschiedlich reagieren, und das können wir jetzt gezielt untersuchen und bei unserer Wirkstoffforschung berücksichtigen“, erklärt Sigrun Smola die wissenschaftliche Bedeutung der Erkenntnisse.
Mit ihrem neuen Ansatz haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch für andere Arbeitsgruppen weltweit die Möglichkeit eröffnet, sehr viel effektiver Medikamente gegen das BK Polyomavirus zu finden als bisher.
Quelle: Universität des Saarlandes
Originalpublikation: Lise Lauterbach-Rivière et al.; Tumor Necrosis Factor-Alpha Inhibits the Replication of Patient-Derived Archetype BK Polyomavirus While Activating Rearranged Strains; Journal of Medical Virology, Februar 2025, DOI: 10.1002/jmv.70210