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Gemeinsame Stoffwechselwege von verschiedenen Krankheiten

Viele ältere Menschen leiden gleichzeitig an mehreren, oft sehr verschiedenen Erkrankungen, ein Zustand, der auch als Multimorbidität bezeichnet wird. © Prostock-Studio / iStock / Getty Images Plus

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Gesundheitsstudie: Gemeinsame Stoffwechselwege von verschiedenen Krankheiten

Viele ältere Menschen leiden an mehreren Krankheiten gleichzeitig, die häufig eine gemeinsame Ursache haben. Dies weisen Wissenschaftler*innen des Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité – Universitätsmedizin Berlin gemeinsam mit Kolleg*innen aus München und Großbritannien nach. Hierzu werteten sie Daten von mehr als 11 000 Studienteilnehmer*innen aus, von denen sowohl Krankheitsverläufe als auch Blutwerte vorlagen. Die Ergebnisse erlauben einen umfassenden Ansatz der Prävention von Krankheiten. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler*innen nun veröffentlicht.

Viele ältere Menschen leiden gleichzeitig an mehreren, oft sehr verschiedenen Erkrankungen, ein Zustand, der auch als Multimorbidität bezeichnet wird. Ihre Lebensqualität ist oft stark eingeschränkt, sie erhalten Medikamente von verschiedenen Ärzt*innen, die oft nicht ausreichend aufeinander abgestimmt sind. Beobachtungen weisen darauf hin, dass bestimmte Erkrankungen häufiger gemeinsam auftreten, die Ursachen hierfür liegen jedoch weitgehend im Dunkeln.

Prospektive Studie mit 11 000 Teilnehmern

In einer aktuellen Studie hat ein Team um BIH Professorin Claudia Langenberg, Leiterin der AG Computational Medicine, und Wissenschaftler*innen aus München und Großbritannien nun eine Reihe von Stoffwechselvorgängen gefunden, die nicht nur mit einer, sondern gleichzeitig mit bis zu 14 Erkrankungen verbunden sind. Die Wissenschaftler*innen werteten hierzu Daten von mehr als 11 000 Teilnehmer*innen der prospektiven EPIC-Norfolk Gesundheitsstudie aus. Diese erfasst sowohl Messwerte aus dem Blut als auch klinische Daten zu Krankheiten.

„Wir wollten wissen, ob es bestimmte Marker im Blut gibt, die das Risiko nicht nur für eine, sondern für mehrere Krankheiten gleichzeitig beeinflussen“, erklärt Claudia Langenberg. Dazu untersuchten die Wissenschaftler*innen zunächst die Konzentration von hunderten verschiedenen Molekülen in den Blutproben von insgesamt 11 000 Studienteilnehmer*innen. Danach prüften sie, wie die Konzentration einzelner dieser Metaboliten mit insgesamt 27 schweren Erkrankungen der Teilnehmer*innen zusammenhing.

Die Metaboliten umfassten nicht nur bekannte Stoffwechselprodukte wie etwa Zucker, Fette, oder Vitamine, sondern auch Substanzen, deren Konzentration von genetischen oder Umweltfaktoren abhängt. So konnten die Wissenschaftler*innen mit dem so genannten „molekularen Profiling“ zum Beispiel Abbauprodukte von Medikamenten, Kaffeekonsum oder den Beitrag von Darmbakterien nachweisen.

Konzentration im Blut von hunderten Molekülen

Die Blutproben waren den Teilnehmer*innen bereits vor 20 Jahren abgenommen worden und lagerten seither bei Minus 196 Grad Celsius. Damals waren die Menschen zumeist gesund. Welche Krankheiten sie danach entwickelten, wurde systematisch und detailliert über mehr als 20 Jahre durch elektronische Krankenhausdaten erfasst. „Damit konnten wir erforschen, wie die Konzentration im Blut von hunderten Molekülen mit der Entstehung einer oder multipler Erkrankungen zusammenhängt“, erklärt Claudia Langenberg.

So fand das Team heraus, dass die Konzentration mancher Stoffwechselprodukte im Blut mit einer beeinträchtigten Leber- und Nierenfunktion zusammenhing, mit Übergewicht oder einer chronischen Entzündung. Sie entdeckten aber auch, dass bestimmte Lebensstilfaktoren oder eine verminderte Vielfalt der Darmbakterien, des sogenannten Darmmikrobioms, die Blutwerte beeinflussen und damit Hinweise auf die Entwicklung von Krankheiten im Verlauf der Jahre gaben.

Es zeigte sich, dass die Hälfte aller nachgewiesenen Moleküle mit einem erhöhten oder erniedrigten Risiko für mindestens eine Krankheit in Verbindung stand. Der überwiegende Teil tat dies mit mehreren, teils sehr verschiedenen Erkrankungen und wies damit auf Stoffwechselwege hin, die das Risiko für Multimorbidität erhöhen.

Mit dem Auftreten von mehr als einer Erkrankung verbunden

„Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass eine erhöhte Konzentration des zuckerähnlichen Moleküls N-Actelylneuraminat das Risiko für gleich 14 Erkrankungen erhöhte“, erklärt Maik Pietzner, Wissenschaftler bei Claudia Langenberg und Erstautor der Publikation. „Gamma-Glutamylglycin dagegen steht ausschließlich mit dem Auftreten von Diabetes in Zusammenhang. Andere Mitglieder der gleichen Molekülgruppen erhöhen gleichzeitig das Risiko für Leber- und Herzerkrankungen.“ Claudia Langenberg ergänzt: „Insgesamt haben wir beobachtet, dass zwei Drittel der Moleküle mit dem Auftreten von mehr als einer Erkrankung verbunden sind. Das passt zu der Tatsache, dass Patientinnen und Patienten im Laufe ihres Lebens oft eine ganze Reihe von Krankheiten entwickeln. Wenn es uns nun gelingt, diese Schlüsselfaktoren zu beeinflussen, sollte dies ermöglichen, mehreren Krankheiten gleichzeitig zu begegnen.“

Die umfangreichen Analysen der Wissenschaftler*innen erlauben einen Einblick auf die verschiedenen Einflussfaktoren auf den menschlichen Stoffwechsel, der bislang in dieser Detailschärfe nicht möglich war. Um diese Referenz Wissenschaftler*innen in aller Welt zugänglich zu machen, haben die Autor*innen eigens eine Webanwendung entwickelt, omicscience.org. Sie stellt alle Ergebnisse grafisch aufbereitet frei zur Verfügung, damit sie in neuen Studien weiterverwendet werden können.

Claudia Langenberg fügt hinzu: „Die Webseite ermöglicht es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, für jedes Molekül, für das sie sich interessieren, wesentliche Einflussfaktoren zu bestimmen oder völlig neue Zusammenhänge zu Erkrankungen zu entdecken. All das war nur möglich, weil wir einen systematischen und datenorientierten Ansatz verwendet haben.“

Quelle: Berlin Institute of Health (BIH)


Originalpublikation: Maik Pietzner et al.; Plasma metabolite to profile pathways in noncommunicable disease multimorbidity; Nature Medicine, 2021, DOI 10.1038/s41591-021-01266-0

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