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Geschlecht bei Kosenamen irrelevant

Kosenamen, die von weiblichen Vornamen abgeleitet sind, werden im Klang männlicher und Kosenamen, die von männlichen Vornamen abgeleitet sind, klingen weiblicher. © Ivanko_Brnjakovic / iStock / Getty Images Plus

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Genderindex: Geschlecht bei Kosenamen irrelevant

Das Geschlecht der Person, die mit einem Kosenamen bezeichnet wird, rückt in den Hintergrund, besonders auffällig im Vergleich zu ihrem Vornamen. „Was bei den Vornamen peinlich genau kontrolliert wird, nämlich die Geschlechterunterscheidung, kann im Privatbereich und vor allem bei Paaren offensichtlich vernachlässigt werden“, beschreibt Prof. Dr. Damaris Nübling, Sprachwissenschaftlerin vom Deutschen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), das Phänomen.

Das geht so weit, dass manche Kosenamen für Frauen und Männer gleichermaßen Verwendung finden wie beispielsweise Alex und Andi, aber auch Liebling oder Schatzi. Die Nivellierung der Geschlechter bei den Kosenamen, die sich von dem Vornamen ableiten, kann anhand eines Genderindex gezeigt werden.

Dieser Index ermittelt die typischen Klangmuster von Frauen- und von Männernamen und vergleicht sie mit denen der betreffenden Kosenamen. Kosenamen kommen in allen engeren Beziehungen vor, nicht nur bei Paaren und Familien, sondern auch in Schulen, Betrieben, Vereinen und im Beruf. Sie dienen der Herstellung von Nähe und Sympathie, während Spottnamen, die negative Variante von Spitznamen, meist mit Ablehnung und Aggressionen verbunden sind.

Die Linguistik unterscheidet verschiedene Typen, wie Spitznamen gebildet werden. Am häufigsten sind die Abwandlung des Vor- oder Nachnamens und die Bildung von sogenannten Übernamen wie Mausi, Schatz oder Zwerg. Bei der Bildung von Kosenamen auf der Basis von Familiennamen liegen Männer sehr deutlich vorn: Schumi und Poldi sind hierfür prominente Beispiele.

Frauen dagegen bekommen vorwiegend Kosenamen, die von ihren Vornamen abgeleitet sind: Aus Gabriele wird Gabi und aus Stefanie wird Steffi. Damit vergleichbar wird auch Michael zu Michi und Hans zu Hansi.

Genderindex gibt Weiblichkeit und Männlichkeit von Vor- und Spitznamen an

Das Team um Damaris Nübling hat nun die Vornamen einerseits und die Kosenamen andererseits genauer unter die Lupe genommen und anhand des Genderindex auf den Prüfstand gestellt. Dieser Index berücksichtigt, dass sich Vornamen von Frauen und Männern in der Silbenzahl, der Akzentposition, dem Anteil von Konsonanten und Vokalen und ganz besonders im Auslaut unterscheiden.

Fast 80 Prozent der Frauennamen enden mit einem Vokal, aber nur knapp 20 Prozent der Männernamen und dann in der Regel auf andere Vokale als bei den Frauen. Auf einer Skala von plus acht, das ist maximal weiblich, bis minus acht, das ist maximal männlich, liegt zum Beispiel Michaela bei plus sieben und Christoph bei minus fünf.

Mit Hilfe eines großen Korpus, das Kosenamen von Schülerinnen und Schülern enthält, wurde dann deren Genderindex ermittelt. „Hier zeigt sich, dass bei den Kosenamen eine deutliche Nivellierung der Geschlechterdifferenz stattfindet und die Namen sich in ihrer Struktur und in ihrem Klangmuster annähern“, so Nübling.

„Das geht so weit, dass sich männliche und weibliche Kosenamen überschneiden und überhaupt kein Geschlecht mehr markieren.“ Bei Andi, Uli, Alex oder Chris lässt sich nicht sagen, ob eine Frau oder ein Mann gemeint ist.

Geschlechterdifferenz wird nivelliert – Beziehung überschreibt Geschlecht

Das heißt, Kosenamen, die von weiblichen Vornamen abgeleitet sind, werden im Klang männlicher und Kosenamen, die von männlichen Vornamen abgeleitet sind, klingen weiblicher. Diese Annäherung, so zeigen Erkenntnisse des Soziologen Prof. Dr. Stefan Hirschauer von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, ist nur auf den ersten Blick überraschend. Sie offenbart tatsächlich eine grundlegende Struktur von Nahbeziehungen.

Gerade in Paarbeziehungen, die sich aufgrund von Geschlechterunterscheidung bilden, wird das Geschlecht zunehmend unwichtiger. „Wenn sich ein Paar erst einmal gebildet hat, wird das Geschlecht nicht nur irrelevant, sondern es steht der Beziehung sogar im Weg, weil es die Wahrnehmung des Individuums stört“, erklärt Nübling. „Man könnte sagen: Das Geschlecht ist längst geklärt, ich brauche es nicht mehr im Namen aufzurufen. Die mit dem Namen vollzogene Streicheleinheit ist wichtiger.“ Stefan Hirschauer bemerkt dazu:

„Die Personenwahrnehmung in Intimbeziehungen verlangt einfach eine viel größere Komplexität als das Geschlechterschema erlaubt. Außerdem steht dieses Schema in Konkurrenz zum Vertrautheitswissen im Beziehungsalltag. Die Mitglieder eines Paares wissen viel zu viel übereinander, als dass sie sich stets oder vorrangig als Frau oder Mann sehen könnten.“ Diese Funktion erfüllen auch Übernamen wie Schatzi oder Schnuckel oder Kosenamen auf Basis von Tierbezeichnungen.

Hase, Hasi, Spatz, Äffchen, Käfer, Namen, die beide Partner sich gegenseitig geben und die ebenfalls großzügig die Geschlechtergrenze verwischen. Eine besonders auffällige Verschmelzung von Partnern als Paar kommt in amalgamierten Paarnamen wie Brangelina für Brad Pitt und Angelina Jolie zum Ausdruck. In Schweden, wo man Namen frei wechseln und wählen darf, wählen Paare bei der Heirat öfter einen gemeinsamen Familiennamen, der die beiden Geburtsnamen vermischt.

Unisex-Namen auf dem Vormarsch

In Deutschland ist die Situation eine andere. Dass sich Frauen und Männer den gleichen Namen teilen, wie im Falle von Uli oder Chris, steht den meisten offiziellen Vornamen entgegen, die in aller Regel auf das Geschlecht des Kindes verweisen.

„Dieses Prinzip könnte sich aber mit der zunehmenden sozialen Bedeutungslosigkeit von Geschlecht abschwächen“, erwartet Nübling. Unisex-Namen werden mit dem sogenannten dritten Geschlecht „divers“ möglicherweise mehr Raum erobern.

Wie die Entwicklung genau verläuft, ist nicht einfach zu ermitteln. Kosenamen sind oft sehr intim und werden nicht gerne verraten. Gerade Paare geben ihre Intimnamen kaum preis, sie sind für andere tabu.

Ein Forschungsfeld, zu dem es bisher keine Informationen gibt, ist der Gebrauch von Kosenamen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen; ein Gebiet, zu dem Damaris Nübling mit ihrem Team am Deutschen Institut und mit der Gendersoziologie, mit der sie seit sechs Jahren in einer DFG-Forschergruppe zusammenarbeitet, in Zukunft weitere Untersuchungen durchführen möchte.

Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz

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