Rund zwei bis drei Prozent aller Personen mit einer Krebserkrankung leiden unter Nierenkrebs. Die häufigste Form dieser Krankheit ist das klarzellige Nierenkarzinom. Bei etwa der Hälfte der betroffenen Patienten bildet der Tumor Metastasen, eine Heilung ist dann in der Regel nicht mehr möglich. Um die verschiedenen Krebsarten zu erforschen und um neue therapeutische Ansätze zu testen sind präzise Mausmodelle entscheidend.
Denn die Tumoren in der Maus widerspiegeln die Genetik sowie die molekularen und zellulären Merkmale der menschlichen Pendants. Ein Mausmodell des Nierenzellkarzinoms gab es aber bisher trotz jahrzehntelanger Forschungsanstrengungen nicht. Die Entwicklung eines Mausmodells ist nun Forschenden der Universität Zürich im Rahmen eines langjährigen Forschungsprojekts gelungen.
Geleitet wurde die Arbeit von Sabine Harlander und ihren Kollegen am Physiologischen Institut der UZH im Labor von Professor Ian Frew, der seit Kurzem an der Universität Freiburg in Deutschland tätig ist. Die Forschenden identifizierten zunächst Gene, die in menschlichen Nierenkarzinomen oft mutiert sind. In einem nächsten Schritt wurden drei dieser Gene gleichzeitig in Nierenzellen von Mäusen mutiert, worauf sich bei diesen Nierenkrebs entwickelte.
Unkontrollierte Zellvermehrung
Von der Mutierung der Gene in den Nierenzellen bis zur Tumorentstehung dauerte es acht bis zwölf Monate. Diese im Vergleich zur Lebenszeit der Mäuse lange Dauer deutet darauf hin, dass noch zusätzliche Faktoren an der Tumorentwicklung beteiligt sind. Daher wurden die proteinkodierenden Gene in den Maustumoren genauer analysiert.
Es zeigte sich, dass in allen Tumoren mindestens eines der vielen Gene mutiert war, welche für die korrekte Funktion des primären Ciliums verantwortlich sind. Diese Struktur befindet sich auf der Oberfläche der Zelle und ist unter anderem für die Koordination von Zellsignalen zuständig. Aufgrund dieser Entdeckung untersuchten die Forscher, ob solche Mutationen auch in Nierenkarzinomzellen des Menschen vorkommen – und wurden fündig.
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass ein Verlust der normalen Funktion des primären Ciliums dazu führt, dass sich Nierenepithelzellen unkontrolliert vermehren können. „Diese Forschungsarbeit liefert ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Mausmodelle helfen, Krebskrankheiten von Menschen besser zu verstehen", sagt Sabine Harlander.
Bessere Therapien – dank Mausmodell
Das neue Mausmodell macht es möglich, bessere Therapien gegen Nierenkrebs zu entwickeln. Ein Beispiel: Patienten mit metastasiertem Nierenkarzinom erhalten verschiedene Medikamente. Bei manchen Patienten wirken diese, bei anderen nicht. Werden Mäuse mit Nierenkrebs mit denselben Wirkstoffen behandelt, lässt sich das gleiche Phänomen beobachten: Manche Tumoren schrumpfen, manche nicht. Nun kann man bei Mäusen untersuchen, welche Faktoren dazu beitragen, dass sie empfindlich oder resistent auf einzelne Medikamente reagieren.
„Durch die Kombination von Medikamententests mit Gen-Analysen hoffen wir, dank unserem Mausmodell vertiefte Erkenntnisse zu gewinnen, wie die Tumoren Medikamentenresistenzen entwickeln", ergänzt Ian Frew. Dieses Wissen ist nötig, damit Therapien zukünftig besser an die individuellen Charakteristika der Patienten angepasst werden können. Auch bei der Weiterentwicklung von Immuntherapien kann das Mausmodell helfen. Bei Immuntherapien wird das körpereigene Immunsystem dazu angeregt, verstärkt gegen Tumorzellen anzukämpfen.
In diesem Bereich der Krebsforschung wurden in den letzten Jahren entscheidende Fortschritte gemacht, auch beim Nierenkarzinom. Im neuen Mausmodell lässt sich nun untersuchen, wie Nierentumore im Kontext eines normalen Immunsystems entstehen und wie Krebszellen es schaffen, den Angriffen den Immunsystems zu entkommen. Ziel der Forschenden ist es letztlich, dank neuen Erkenntnissen die Wirksamkeit von immunmodulatorischen Therapien zu verbessern.
Quelle: Universität Zürich
Publikation: Ian J. Frew. et al.; Combined Vhl, Trp53 and Rb1 mutation causes clear cell renal cell carcinoma in mice; Nature Medicine, 2017; doi: 10.1038/nm.4343