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Frau mit chronischer Müdigkeit und Erschöpfung.

Die chronische Erschöpfung und Müdigkeit sind häufige Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung. © brizmaker / iStock / Getty Images Plus

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Covid-19-Langzeitfolgen: Mechanismen des Fatigue-Syndroms werden erforscht

Ein interdisziplinärer Zusammenschluss unter Leitung von Forschenden der Charité – Universitätsmedizin Berlin soll klären, was der komplexen neuroimmunologischen Erkrankung Myalgische Enzephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS), auch postinfektiöses Erschöpfungssyndrom, auf molekularer Ebene zugrunde liegt.

Die langfristigen Folgen der durch das SARS-Coronavirus Typ 2 ausgelösten Erkrankung COVID-19 treten mit Voranschreiten der Pandemie immer stärker zutage. Die Zahl dauerhaft eingeschränkter und behandlungsbedürftiger Menschen steigt und damit der Bedarf an belastbarem Wissen über mögliche Spät- und Langzeitfolgen, wie sie im Zusammenhang mit COVID-19 und anderen Infektionskrankheiten beobachtet werden.

ME/CFS ist eine schwerwiegende, meist lebenslang andauernde Erkrankung mit unterschiedlich ausgeprägten körperlichen und geistigen Symptomen. Am häufigsten beobachtet werden Schwäche und Erschöpfung (Fatigue), Muskel- und Kopfschmerzen, Darmbeschwerden, Schwindel, Stress- und Reizempfindlichkeit, Herzrasen oder Blutdruckschwankungen.

Typischerweise tritt eine Verschlechterung auch infolge geringfügiger Belastungen ein, man spricht von Post-Exertional Malaise. Bei der Mehrzahl der Patient*innen beginnt die Krankheit nach einer Virusinfektion. Verschiedene Erreger sind mittlerweile als Auslöser bekannt, darunter Herpesviren wie das Epstein-Barr-Virus, Dengue- oder Influenza-Viren. Nach der SARS-Pandemie 2002 und 2003 entwickelte ein Teil der Erkrankten ME/CFS.

Mechanismen bis heute ungeklärt

In der aktuellen COVID-19-Pandemie zeigt sich, dass eine Untergruppe der Long-COVID-Betroffenen ebenfalls an ME/CFS erkrankt. Bereits vor Pandemiebeginn gingen Expertenschätzungen von etwa 300 000 Menschen alleine in Deutschland aus, darunter rund 40 000 unter 18 Jahren, die an der chronischen Erkrankung leiden.

Etwa die Hälfte der überwiegend jüngeren und weiblichen Patient*innen ist so krank, dass sie nicht mehr arbeiten kann. Schwerstbetroffene sind bettlägerig und nicht mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen. Während man lange Zeit davon ausging, es handele sich um eine psychosomatische Erkrankung, stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ME/CFS bereits 1969 als neurologische Krankheit ein.

Die genauen Mechanismen, die zur Erkrankung führen, sind bis heute ungeklärt. Jüngste Studien weisen auf autoimmune Prozesse und eine Fehlregulation des vegetativen Nervensystems sowie des zellulären Energiestoffwechsels hin. Doch noch immer fehlen zugelassene und wirksame Behandlungsmöglichkeiten, ebenso verlässliche Biomarker, messbare Werte in Blut oder Serum, die zur Diagnose der Erkrankung eingesetzt werden können.

Thema postinfektiöse Erkrankungen wird immer größer

Dies zu ändern, hat sich das aktuelle Vorhaben mit dem Namen IMMME – IMune Mechanism of ME zum Ziel gemacht. Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, kommissarische Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie am Charité Campus Virchow-Klinikum, ist seit vielen Jahren mit dem Krankheitsbild des postinfektiösen Chronischen Fatigue Syndroms (ME/CFS) befasst. Sie leitet die Immundefekt-Ambulanz sowie das Fatigue Centrum an der Charité und nun auch das interdisziplinäre Forschungsnetzwerk IMMME.

„Ich freue mich sehr über die Förderung dieses Verbundprojekts und darüber, es mit einem Team von Expertinnen und Experten für ME/CFS, COVID-19 und Immunsystem bearbeiten zu dürfen. Es kommt zur richtigen Zeit, denn das Thema postinfektiöse Erkrankungen hat in Folge der Pandemie eine neue Dimension bekommen“, sagt Prof. Scheibenbogen. „Es ist das erste Mal, dass nun ein Forschungsnetzwerk zu ME/CFS in Deutschland gefördert wird.“

Was also führt zu der neuroimmunologischen Langzeiterkrankung, bei der bislang nur einzelne Symptome behandelt werden können, nicht aber die eigentliche Ursache? Das Epstein-Barr-Virus, das das Pfeiffersche Drüsenfieber hervorruft, ist bereits nachweislich als Auslöser von Autoimmunreaktionen bekannt. Ein ähnliches Risiko für Autoimmunität besteht nach COVID-19, vermutet das Forschungsteam.

Schlüsselproteine identifiziert

Während im gesunden Menschen Autoantikörper zur Steuerung von wichtigen Vorgängen beitragen, können sie sich nach Infektionen in ihrer Funktion ändern und zur Entwicklung von Autoimmunerkrankungen führen. Im Fall von ME/CFS konnten Wissenschaftler*innen um Prof. Scheibenbogen und andere Gruppen Autoantikörper gegen sogenannte G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, Schlüsselproteine in der Signalvermittlung, nachweisen, die mit der Schwere von Symptomen in Zusammenhang stehen.

Unter ihnen sind solche, die sich gegen Stressrezeptoren richten und mit Hauptsymptomen wie Erschöpfung und Muskelschmerzen verknüpft sind, und auch solche, die mit verminderten kognitiven Fähigkeiten in Verbindung stehen. Welche Rolle dabei einzelne Autoantikörper und kreuzreagierende Virus-Antikörper spielen, und auf welche Weise Signalwege von möglichen Kreuzreaktionen betroffen sind, dem geht das neue Forschungsnetzwerk in fünf Teilprojekten nach.

Grundlage der umfassenden Analysen sind gut charakterisierte biologische Proben aus einer gemeinsamen ME/CFS-Biobank. Unterschiedliche Parameter werden innerhalb der einzelnen Projekte gesammelt und zusammen in einer Datenbank ausgewertet. Ziel der Arbeiten ist es, erstmals eine systematische, umfassende Grundlage für diagnostische Marker zu schaffen. Insbesondere hoffen die Forschenden, dass es gelingt, Strukturen zu identifizieren, die als Grundlage für gezielte Therapieansätze der Autoimmunerkrankung dienen.

Mehrere Forschungsteams im Einsatz

Die Hypothese des Teams um Prof. Scheibenbogen: einige der Autoantikörper sind in ihrer Struktur verändert und binden so an bestimmte Rezeptoren, dass Fehlinformationen in den Zellen zu Fehlfunktionen bei immunologischen, regulativen oder Stoffwechselprozessen führen. Ein Fokus der Arbeiten liegt daher auf Details im Bindungsverhalten von Autoantikörpern und den entsprechenden Rezeptoren. Dabei tragen Rheumatologie und klinische Immunologie am Universitätsklinikum Lübeck mit molekularen Analysen zu den Studien bei.

Expert*innen des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Bonn, untersuchen in enger Kooperation mit Prof. Dr. Leif E. Sander, Direktor Infektiologie der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité, mittels RNA-Sequenzierung auf Einzelzellebene unterschiedliche Immunzelltypen, um mögliche Veränderungen in deren Signalwegen und potenzielle Biomarker zu identifizieren.

Ein Team am Universitätsklinikum Würzburg widmet sich den Ursachen des veränderten Energiestoffwechsels innerhalb der Zelle bei ME/CFS, während ein Team an Charité und Universitätsklinikum München Antikörper gegen das Epstein-Barr-Virus und Kreuzreaktionen mit körpereigenen Strukturen zum Vergleich untersucht. Die Datenerfassung und Analyse von Daten aus Kontrollgruppen von Erkrankten mit Multipler Sklerose und anderen Autoimmunerkrankungen leistet ein Team an Charité.

Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin

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