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In zellbiologischen Experimenten stellte das Forscherteam fest, dass PIEZO2-Mutationen einen starken Einfluss auf die Aktivität des Ionenkanals haben. © peterschreiber.media / iStock / Getty Images Plus

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Chronische Schmerzen: Medikamente durch das Protein PIEZO2 verbessern

Forscher im Labor von Gary Lewin am Max-Delbrück-Centrum haben einen Ionenkanal identifiziert, der zu chronischen Schmerzen beiträgt. Dies legt einen neuen Angriffspunkt für Schmerzmittel nahe. Die Studie wurde in „Brain“ veröffentlicht.

Ein Forscherteam unter der Leitung von Oscar Sánchez-Carranza im Labor von Professor Gary Lewin am Max-Delbrück-Centrum hat eine neue Funktion des Proteins PIEZO2 entdeckt – die Vermittlung chronischer Schmerzüberempfindlichkeit. Die Forschung legt ein neues Ziel für Analgetika nahe und erklärt möglicherweise, warum Schmerzmittel, die auf spannungsgesteuerte Natriumkanäle abzielen, als klinische Ziele enttäuschend waren.

Bedeutung des PIEZO2-Proteins

„Es besteht eine gute Korrelation zwischen chronischen Schmerzen und der Sensibilisierung von Schmerzrezeptoren, sogenannten Nozizeptoren, beim Menschen“, sagt Lewin. „Diese Studie weist darauf hin, dass der PIEZO2-Kanal ein wichtiger Vermittler sensorischer Signale ist, die chronische Schmerzen aufrechterhalten.“

Das PIEZO2-Protein bildet einen Ionenkanal in menschlichen Sinnesrezeptoren. Frühere Studien haben gezeigt, dass der Ionenkanal an der Übermittlung des Tastsinns an das Gehirn beteiligt ist. Menschen mit „Loss-of-Function“-Mutationen im PIEZO2-Gen reagieren hyposensibel auf sanfte Berührungen oder Vibrationen.

Ergebnisse der zellbiologischen Experimente

Im Gegensatz dazu werden bei Patienten mit „Gain-of-Function“-Mutationen im PIEZO-Gen häufig komplexe Entwicklungsstörungen diagnostiziert. Ob Gain-of-Function-Mutationen jedoch für mechanische Überempfindlichkeit verantwortlich sind, konnte bisher nicht bewiesen werden.

Um diesen Zusammenhang zu untersuchen, schuf Sánchez-Carranza zwei Stämme sogenannter „Gain-of-Function“-Mäuse, die jeweils eine andere Version eines mutierten PIEZO2-Gens trugen. Er erwartete, dass die Berührungsrezeptoren dieser Mäuse hochempfindlich sein würden. In zellbiologischen Experimenten stellte sein Team fest, dass PIEZO2-Mutationen einen starken Einfluss auf die Aktivität des Ionenkanals haben.

Mutation sensibilisiert Nozizeptoren dramatisch

Eine Mutation beispielsweise bewirkt, dass sich der Kanal mit zehnmal weniger Kraft öffnet als normale, nicht mutierte Kanäle. Mithilfe elektrophysiologischer Methoden, die im Lewin-Labor entwickelt wurden, maßen Sánchez-Carranza und seine Kollegen die elektrische Aktivität in sensorischen Neuronen, die aus den transgenen Mäusen isoliert wurden.

Sie fanden heraus, dass die Mutationen nicht nur die Berührungsrezeptoren wie erwartet sensibilisierten, sondern auch nozizeptive Rezeptoren – Neuronen, die schmerzhafte mechanische Reize wahrnehmen – deutlich empfindlicher gegenüber mechanischen Reizen machten. Darüber hinaus stellten die Forscher fest, dass die Nozizeptoren durch mechanische Reize aktiviert wurden, die normalerweise als leichte Berührung empfunden würden.

Mechanische Kräfte als Auslöser

„Man muss die Haut schon ziemlich eindrücken, um Nozizeptoren zu aktivieren“, erklärt Sánchez-Carranza. Aber die Nozizeptoren der transgenen Mäuse wurden durch mechanische Kräfte ausgelöst, die normalerweise als Berührung wahrgenommen würden. Sie waren unglaublich empfindlich.“ Besonders überraschend sei, dass eine einzige Mutation in PIEZO2 ausreiche, um die Physiologie der Nozizeptoren von einem Neuronentyp in einen anderen zu ändern, sagt Lewin.

Noch wichtiger: Auch nach Wegfall des Reizes feuerten die Neuronen weiter. Die Studie ist das erste Mal, dass jemand Gain-of-Function-Mutationen im PIEZO2-Gen mit Schmerzrezeptoren in Verbindung gebracht hat.

PIEZO2 könnte an Schmerzsyndromen beteiligt sein

Klinische Studien haben gezeigt, dass bei Patienten mit chronischen Schmerzsyndromen wie Fibromyalgie und Small-Fiber-Neuropathien die C-Faser-Nozizeptoren, also die sensorischen Rezeptoren, die Schmerzen auslösen, hyperaktiv sind. Als Forscher die Aktivität der Nozizeptoren bei solchen Menschen aufzeichneten, stellten sie fest, dass sie auch in Abwesenheit mechanischer Reize aktiv waren. Der Mechanismus war jedoch nicht klar.

„Wir zeigen, dass wir durch die Veränderung einer einzigen Aminosäure in PIEZO2 tatsächlich vieles von dem nachahmen können, was bei chronischen Schmerzen in den C-Fasern passiert“, sagt Lewin. Beim Menschen „könnte PIEZO2 an vielen dieser Pathologien beteiligt sein.“ Nozizeptive Neuronen sind die größte Gruppe sensorischer Neuronen, die die Haut innervieren – Menschen haben viermal mehr Schmerzrezeptoren in der Haut als Berührungsrezeptoren.

Hoffnung für Schmerzpatienten

Laut einer Studie der US-amerikanischen National Institutes of Health aus dem Jahr 2023 leiden bis zu 20 % der erwachsenen Bevölkerung an chronischen Schmerzen, die mit den vorhandenen Medikamenten nur unzureichend behandelt werden können. Dieselbe NIH-Studie ergab, dass zwei Drittel der Menschen, die 2019 über chronische Schmerzen berichteten, ein Jahr später immer noch darunter litten.

Die Ergebnisse legen nahe, dass ein bestimmter Aspekt des Öffnungsmechanismus der PIEZO2-Kanäle durch neue Schmerzmittel angegangen werden könnte. Ein Großteil der Bemühungen zur Entwicklung neuer Analgetika konzentrierte sich auf spannungsgesteuerte Natriumkanäle, allerdings mit begrenztem Erfolg, sagt Lewin. „Indem wir die Grundursache der Nozizeptorsensibilisierung angehen, könnten neue Medikamente chronischen Schmerzpatienten bessere Linderung verschaffen.“

Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft


Originalpublikation: Oscar Sánchez Carranza et al.; Piezo2 voltage-block regulates mechanical pain sensitivity; Brain, 2024, DOI: 10.1101/2022.10.04.510762

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