„Das größte Problem dieser Analysen ist, dass mit Digitalis behandelte Patienten schon aufgrund ihres Alters und der Nebenerkrankungen eine schlechte Prognose haben, also unabhängig von der Digitalistherapie. Die Schlussfolgerung vieler Studien, dass die Prognose durch die Digitalistherapie verschlechtert wurde, ist daher nicht zutreffend“, betont Privatdozent Dr. Udo Bavendiek, Oberarzt der MHH-Klinik für Kardiologie und Angiologie.
Darüber hinaus spiele es beispielsweise auch eine Rolle, dass die Studien ursprünglich nicht zur Untersuchung von Digitalis-Effekten, sondern zu anderen Zwecken entworfen worden seien.
Studienteilnehmer und weitere Zentren gesucht
Professor Dr. Armin Koch, Privatdozent Dr. Udo Bavendiek, Professor Dr. Johann Bauersachs, und Lukas Aguirre Dávila (von links). © MHH / Kaiser
„Aus den bisherigen Arbeiten können jedoch wichtige Hypothesen abgeleitet werden, die in weiteren Untersuchungen überprüft werden können“, sagt Professor Dr. Johann Bauersachs, Direktor der MHH-Klinik für Kardiologie und Angiologie. Diese weiteren Studien müssten jedoch von Beginn an zur Überprüfung dieser konkreten Frage gestaltet werden sowie ausreichend viele Patienten einschließen, die nach dem Zufallsprinzip entweder der Digitalis- oder der Kontroll-Gruppe zugeordnet werden.
Die bisher einzige so designte Studie war die 1997 veröffentlichte Untersuchung „DIG-Trial“. Aus ihr ging hervor, dass Patienten mit Herzschwäche unter Digoxin-Behandlung seltener ins Krankenhaus eingewiesen werden mussten. Außerdem verlängerte die Therapie mit einer niedrigen Dosis Digoxin das Leben der Patienten. Um definitiv zu belegen, dass eine Digitalis-Therapie in niedrigen Dosierungen für Patienten mit Herzschwäche optimal ist, führen die MHH-Wissenschaftler seit mehr als einem Jahr die „DIGIT-HF“-Studie durch.
Sie wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 3,2 Millionen Euro gefördert. Dafür suchen die Forscher weitere Teilnehmer sowie interessierte Zentren. Bisher beteiligen sich über 40 Zentren, insgesamt sollen 2200 Patienten einbezogen werden. Hauptstudienzentrum ist die MHH; außer den Kardiologen sind federführend Professor Dr. Armin Koch, Direktor des MHH-Instituts für Biometrie, und sein Mitarbeiter Lukas Aguirre Davila beteiligt.
Digitoxin scheint Vorteile zu haben
An der „DIGIT-HF-Studie“ können Patienten teilnehmen, die an der sogenannten systolischen Herzinsuffizienz leiden – einer fortgeschrittenen, chronischen Herzschwäche mit verminderter Pumpleistung der linken Herzkammer. In Deutschland sind davon etwa zwei Millionen Menschen betroffen. Sie ist eine der häufigsten Ursachen für Tod und Krankenhausaufnahmen.
Bei dieser Herzschwäche kann das Herz nur noch vermindert pumpen: Die körperliche Leistungsfähigkeit der Patienten ist stark eingeschränkt, sie sind schnell erschöpft, haben Rhythmusstörungen, Luftnot oder sind oft nur noch wenig beweglich, was einen hohen Leidensdruck zur Folge hat.
„Unsere Arbeit ist wichtiger denn je, um endlich Klarheit zu schaffen, ob Digitalis das Leben von Patienten mit Herzschwäche verlängert und verbessert. Eine solche sogenannte prospektive randomisierte Studie ist das einzig Zielführende. Digitoxin scheint im Vergleich zu dem häufiger eingesetzten Digitalis-Präparat Digoxin einige Vorteile zu haben. Alle Patienten mit Herzschwäche, bei denen eine Digitalistherapie bestehend oder geplant ist, sollten für eine Teilnahme in unserer Studie in Erwägung gezogen werden“, sagt Professor Bauersachs.
„Generell profitieren Patienten von der Teilnahme an derartigen Studien, weil sie regelmäßig nachkontrolliert werden und somit eine optimale Therapie der Herzschwäche nach aktuellen Leitlinien erhalten.“
Quelle: Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
Originalpublikation: Johann Bauersachs et al.; Assumption versus evidence: the case of digoxin in atrial fibrillation and heart failure; European Heart Journal, 2017; DOI: 10.1093/eurheartj/ehw577