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Kinderhände bewegen Puzzleteile.

Demenz macht auch vor Kindern nicht Halt. © FotoDuets / iStock / Getty Images Plus

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Proteine: Neue Erkenntnisse zur kindlichen Demenz

Eine internationale Forschungsgruppe unter Leitung von Wissenschaftlern aus der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und der Universität Zürich (UZH) entschlüsselt die Funktion des mit kindlicher Demenz assoziierten Proteins CLN5.

Bei „Demenz“ denkt man sofort an Alterserkrankungen, wie die Alzheimer Krankheit. Demenzerkrankungen können aber auch schon im Kindes- und Jugendalter auftreten. Zur Gruppe dieser kindlichen Demenzerkrankungen gehören auch die sogenannten „Neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen“ (NCL), die im englischsprachigen Raum auch als „Batten-Krankheit“ bezeichnet werden.

NCL-Erkrankungen umfassen eine Gruppe von genetisch bedingten und damit erblichen Erkrankungen. Sie gehen mit Veränderungen im Gehirn einher und führen zu schweren Krankheitsverläufen. Bei den betroffenen Patient*innen kommt es abhängig vom jeweiligen genetischen Defekt zwischen früher Kindheit und jungem Erwachsenenalter zu Entwicklungsstörungen, Krampfanfällen, Seh- und Bewegungsstörungen sowie zu einem zunehmenden Verlust von geistigen Fähigkeiten, einem „dementiellen Abbau“.

Alle NCL-Krankheiten sind bisher unheilbar und schreiten unaufhaltsam voran. Am Ende des Krankheitsverlaufs sind die Betroffenen komplett bettlägerig und vollkommen pflegebedürftig. Fast alle NCL-Erkrankungen führen zu einem frühzeitigen Tod.

Neue Erkenntnisse zu bekanntem Protein

Einer internationalen Gruppe von Wissenschaftler*innen unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Robert Steinfeld (Universität Zürich) und Priv.-Doz. Dr. Ralph Krätzner (Klinik für Kinder und Jugendmedizin der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), Direktorin: Prof. Dr. Jutta Gärtner) ist es gelungen, ein tiefergehendes strukturbiologisches und biochemisches Verständnis für eine der bisher rätselhaftesten Formen von NCL-Erkrankungen zu entwickeln.

Die sogenannte „finnische spätinfantile NCL-Variante“ wurde zuerst in Finnland beschrieben und wird durch Mutationen im CLN5-Gen verursacht. Der CLN5-Gendefekt wurde bereits 1998 veröffentlicht. Doch zum Protein, welches das Krankheitsgen CLN5 produziert, war bisher kaum etwas bekannt.

Einem Teil des Teams um Erstautorin Dr. Anna Lübben und Prof. George Sheldrick, beide ehemals Lehrstuhl für Strukturchemie am Institut für Anorganische Chemie der Universität Göttingen, und Dr. Stefan Becker aus der Abteilung NMR-basierte Strukturbiologie des Max-Planck-Instituts für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, gelang es, in Zellkultur hergestelltes CLN5-Protein zu kristallisieren und damit dessen dreidimensionale Struktur zu bestimmen.

Pathologie der Neurodegeneration

Die Strukturdaten halfen bei der Suche nach der möglichen Funktion des CLN5-Proteins: Die Wissenschaftler*innen konnten schließlich zeigen, dass es sich bei dem CLN5-Protein um ein Enzym handelt, genauer um eine sogenannte „Depalmitoylase“.

Das Enzym kann eine bestimmte chemische Bindung, die sog. „Thioester-Bindung“, spalten, die Proteine über die Aminosäure Cystein mit der Fettsäure Palmitat eingehen und brauchen, um in der Zellmembran verankert zu werden.

„Unsere Ergebnisse verdeutlichen die zentrale Bedeutung der Proteinlipidierung oder auch De-Palmitoylierung in der Pathologie der Neurodegeneration, also bei jenen Prozessen, die zu einem Funktionsverlust und/oder zum Untergang von Nervenzellen führen. Die Verknüpfung von Fettsäuremolekülen mit Proteinen scheint demnach eine wichtige Rolle sowohl bei früh als auch spät einsetzenden neurodegenerativen Vorgängen zu spielen“, sagt Prof. Dr. Dr. Robert Steinfeld, einer der korrespondierenden Senior-Autoren der Publikation.

Er geht davon aus, dass die neuen Erkenntnisse über das CLN5-Protein und seine Funktion Grundlage sein können für weitere Untersuchungen zum mechanistischen Verständnis von Neurodegeneration in Folge einer gestörten Proteinlipidierung.

Forschungsergebnisse im Detail

Den Wissenschaftler*innen gelang es, das CLN5-Protein in Zellkulturen in hoher Ausbeute zu produzieren und aus dem Kulturüberstand so hoch aufzureinigen, dass Proteinkristalle gezüchtet werden konnten. Diese wurden am Teilchenbeschleuniger SLS (Paul Scherrer Institut, Villigen, Schweiz) röntgenkristallographisch analysiert. Mit Hilfe der Daten konnte dann die dreidimensionale Struktur des CLN5-Proteins modelliert werden.

Die so gewonnenen Strukturdaten zeigten, dass das CLN5-Protein zur Superfamilie der N1pC/P60 Papain-artigen Enzyme gehört, einer Superfamilie von Proteinen, die im Organismenreich weit verbreitet sind. Für einige Vertreter dieser Superfamilie sind schon diverse Funktionen beschrieben worden. Über die Funktionsweise von eukaryotischen N1pC/P60 Proteinen war allerdings bisher nur wenig und zum Teil Widersprüchliches bekannt.

De-Palmitoylierung und Lokalisation

In umfangreichen biochemischen Experimenten mit Modellsubstraten konnten die Forscher*innen dann zeigen, dass CLN5-Protein die Abspaltung der Fettsäure Palmitat von Cysteinresten bewirkt. Varianten von CLN5-Protein, in die klinisch bekannte, die Erkrankung NCL5 auslösende Mutationen künstlich eingefügt waren, zeigten diese Aktivität nur noch stark vermindert.

„Durch die Verknüpfung von Cysteinresten mit Palmitinsäure über die sogenannte „Thioester-Bindung“ erhält ein Protein einen lipophileren („fettliebenden“) Charakter. Die Lokalisation eines Proteins innerhalb der Zelle verlagert sich damit tendenziell in lipophile (fettlösliche) Umgebungen, wie sie an Zell- oder Zellorganellenmembranen bestehen“, erläutert Priv.-Doz. Dr. Ralph Krätzner, Biochemiker und zweiter korrespondierender Autor der Publikation.

„Durch Abspaltung der Fettsäurereste, wie sie durch Depalmitasen vermittelt werden, wird das Protein dann wieder hydrophiler („wasserliebend“). Dadurch bedingt verlagert sich sein Aufenthaltsort von den Membranen wiederum in Richtung Zell- oder Zellorganell-Inneres. Das CLN5-Protein ist somit offenbar an der Steuerung der zellulären Lokalisation seiner Zielproteine beteiligt“, so Krätzner.

Spaltende Verwandte

Die Wissenschaftler*innen konnten zudem nachweisen, dass die strukturell nächsten Verwandten des CLN5-Proteins, die Proteine PPPDE1 und PPPDE2, ebenfalls Thioesterasen sind und Thioester-Bindungen spalten. Damit scheint diese Enzymfunktion in der N1pC/P60 Proteinfamilie eine wichtigere biochemische Rolle als bislang angenommen zu spielen.

Die Kooperationsleistung des internationalen Teams stellt Priv.-Doz. Dr. Ralph Krätzner heraus: „Über das CLN5-Protein war fast nichts bekannt. Daher war es sehr wichtig, für seine funktionelle Charakterisierung eng abgestimmt mit Expert*innen aus unterschiedlichen Fachrichtungen von Bioinformatik über Chemie und Molekularbiologie bis hin zur Klinik zusammenzuarbeiten. Das Ergebnis ist ein Beispiel für erfolgreiche interdisziplinäre molekularmedizinische Forschung“.

Ein weiterer wichtiger Schritt wird nun sein, die Erkenntnisse aus dieser Studie in Hinblick auf neue Therapien für Demenzerkrankungen weiter zu entwickeln.

Quelle: Universitätsmedizin Göttingen (UMG)


Originalpublikation: Steinfeld, R. et al.; Cln5 represents a new type of cysteine-based S-depalmitoylase linked to neurodegeneration; Sci Adv, 2022; doi: 10.1126/sciadv.abj8633

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