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Symbolbild Schwindelattacke.

Bei einem Teil der Betroffenen zeigen sich Ohrgeräusch, Ohrdruck oder Hörminderung schon vor der Schwindelattacke. © dmbaker / iStock / Getty Images Plus

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Morbus Menière: Plötzliche Schwindelanfälle und Ohrsymptome vorbeugend therapieren

Der Morbus Menière, eine chronisch rezidivierende Erkrankung des Innenohrs, beeinträchtigt meistens die Lebensqualität der Betroffenen stark. Es kommt in unterschiedlicher Frequenz zu akuten Attacken mit Drehschwindel und einseitiger Hörminderung. Eine prophylaktische Therapie soll die Schwindelattacken und einen dauerhaften, schlimmstenfalls beidseitigen Hörverlust möglichst verhindern.

Neben der symptomatischen Behandlung gibt es die Möglichkeit, Medikamente durch das Trommelfell ins Mittelohr lokal zu injizieren. Eine Metaanalyse [1] gibt nun einen Überblick zur Evidenzlage und unterstützt die Effektivität intratympanaler Injektionstherapien.

Der Morbus Menière ist durch rezidivierende Schwindelepisoden mit anderen Ohrsymptomen gekennzeichnet. Die Episoden können über viele Minuten bis Stunden andauern. Gleichzeitig kommt es dabei zur einseitigen Hörminderung, Ohrensausen (Tinnitus) und Ohrdruck und oft auch zu Übelkeit und anderen vegetativen Symptomen (wie Erbrechen, Blässe, Schwitzen) (aktuelle Diagnosekriterien siehe [2]).

Außerdem besteht während der Schwindelattacke ein hohes Sturzrisiko. Auslöser ist ein Flüssigkeitsstau innerhalb des Gleichgewichtsorgans im Innenohr durch eine überschießende Produktion oder zu geringe Resorption von Innenohrflüssigkeit (Endolymphe). Dadurch kommt es zum Überdruck und Einreißen von Membranen im Innenohr, die zu den Episoden mit Drehschwindel und Ohrsymptomen führen.

Menière-Episoden schwer vorhersagbar

Die Erkrankung beginnt meist zwischen der 4. und 6. Lebensdekade, die Lebenszeitprävalenz des M. Menière liegt bei etwa 0,51 Prozent – in Europa gibt es ungefähr eine Million Betroffene. Die klassische klinische Trias aus Schwindel, Hörminderung und Tinnitus ist anfangs nicht immer vorhanden, was die Diagnose erschweren kann. Im Verlauf kommt es bei regelmäßig auftretenden Attacken zu einer zunehmenden Hörverschlechterung auf der betroffenen Seite.

Auch beidseitiges Auftreten ist möglich. Die Menière-Episoden treten in unterschiedlichen Abständen auf und sind praktisch nicht vorherzusagen. Bei einem Teil der Betroffenen zeigen sich Ohrgeräusch, Ohrdruck oder Hörminderung schon vor der Schwindelattacke. Zwischen zwei Attacken können mehrere Jahre liegen; häufige Attacken beeinträchtigen die Lebensqualität massiv.

Eine kausale Therapie ist bislang nicht möglich, da die zugrundeliegenden Ursachen nicht vollständig geklärt sind. Im Akutfall werden Medikamente wie Dimenhydrinat gegen Übelkeit und Erbrechen eingesetzt. Zur Prophylaxe kann Betahistin in hoher Dosierung oder in Kombination mit Selegilin oder Rasagilin helfen (bislang aber keine kontrollierten Studien). Die Wirksamkeit salzarmer Ernährung, von Kaffee-, Alkoholverzicht oder Diuretika ist nicht belegt.

Therapiesicherheit wird kontrovers diskutiert

Inzwischen erfolgen in schweren und sonst therapierefraktären Fällen weltweit intratympanale Therapien, d. h. Injektionen von Medikamenten von außen durch das Trommelfell in das Mittelohr, von wo aus die Resorption ins Innenohr erfolgt. Eingesetzt werden Glukokortikoide sowie das ototoxische Aminoglykosid-Antibiotikum Gentamicin, welches in hoher Konzentration die Sinneszellen des Innenohrs dauerhaft schädigt bzw. ausschaltet. Der therapiebedingte einseitige Teilausfall des Gleichgewichtorgans kann vom Gehirn teilweise kompensiert werden.

Ein zusätzlicher Hörverlust durch die Therapie ist jedoch möglich, so dass insgesamt die klinische Effektivität und Therapiesicherheit der intratympanalen Therapien kontrovers diskutiert werden. Eine Metaanalyse evaluierte daher systematisch randomisierte, kontrollierte klinische Studien, die die intratympanale Gabe von Steroiden versus Gentamicin sowie beide Substanzen jeweils gegen Placebo verglichen.

Es wurden zehn Studien eingeschlossen und die Ergebnisse gepoolt (n=455; Alter der Teilnehmenden 42-65 Jahre; 52,2 Prozent Frauen). Alle Studienteilnehmenden litten an einseitigem M. Menière und hatten im Vorfeld nicht auf konservative Therapien angesprochen (z. B. salzarme Diät, Diuretika und Betahistin).

Beurteilung des Gehörs

Bei der Kontrolle des Drehschwindels ergaben sich signifikante Vorteile der Gentamicin- sowie der Steroid-Injektionen (Gentamicin vs. Placebo relatives Risikoreduktion = RR 2,56 und Glukokortikoide vs. Placebo RR 3,02; – der Unterschied zwischen Gentamicin und den Glukokortikoiden war nicht signifikant). Die Beurteilung des Gehörs erfolgte mittels Tonaudiometrie: Glukokortikoide hatten gegenüber Gentamicin einen besseren protektiven Effekt auf das Hörvermögen (mittlerer Unterschied der Änderung in der Tonaudiometrie für Gentamicin vs. Glukokortikoide -6,48 Dezibel).

Unter Kortikoid-Therapie kam es zu einer ähnlichen Verschlechterung des Hörvermögens wie unter Placebo, also bei unbehandeltem Erkrankungsverlauf. Nebenwirkungen waren Injektions-assoziierte Schmerzen, Infektionen und Trommelfellperforation.

Die Studienautoren merken abschließend an, dass bei der Bewertung der Therapieeffektivität sowie für künftige Studien das Phänomen der hohen Spontanremissionen und von Placeboeffekten berücksichtigt werden müsse. So sei beim natürlichen Verlauf des M. Menière bei 60-80 Prozent der Betroffenen im Verlauf von zwei bis acht Jahren mit nachlassenden Symptomen zu rechnen – bis hin zur vollständigen Remission.

Weitere Studien notwendig

„Die prophylaktische intratympanale Instillation von Gentamicin oder Steroiden wird bereits in der aktuellen, fachübergreifenden Leitlinie von 2021 [3] bei fehlendem Ansprechen auf die konservative medikamentöse Therapie empfohlen. Die vorliegende Metaanalyse fasst die Evidenz zusammen, d.h. dass beide Substanzen zu einer Kontrolle der Schwindelproblematik führen können“, kommentiert Prof. Dr. med. Dr. h.c. Michael Strupp, München.

„Es sind aber weitere Placebo-kontrollierte Studien mit klinisch relevanten Endpunkten und ausreichender Therapie- und Beobachtungsdauer – gerade aufgrund des hohen Placebo-Effektes – notwendig. Im Gespräch mit den Betroffenen sollte immer die Bedeutung der Hörminderung bei der Gabe von Gentamicin thematisiert werden. Zu berücksichtigen ist der mögliche Verlauf der unbehandelten Erkrankung, einerseits mit der Chance einer Remission, andererseits mit drohender Gefahr des fortschreitenden Hörverlustes und die Entwicklung eines beidseitigen M. Menière in bis zu 40%.

Bei der Behandlung ist dann jeweils ein personalisiertes Vorgehen geboten. Wenn notwendig, d.h. bei Versagen einer hochdosierten Behandlung mit Betahistin oder der Kombinationstherapie von Betahistin mit Selegilin oder Rasagilin, sollten die Injektionen leitlinienentsprechend erfolgen, d. h. in mehrwöchigen Abständen, um die Innenohrtoxizität so gering wie möglich zu halten.“

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)


Literatur:
[1] Hao W, Yu H, Li H.; Effects of intratympanic gentamicin and intratympanic glucocorticoids in Ménière’s disease: a network meta-analysis; J Neurol, 2022 Jan; 269 (1): 72-86
[2] Lopez-Escamez JA, Carey J, Chung WH et al.: Diagnostic criteria for Meniere’s disease; J Vestib Res 2015; 25: 1-7.
[3] S2k-Leitlinie „Vestibuläre Funktionsstörungen“, Herausgeber Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. (DGHNO-KHC). AWMF-Register-Nr. 017/078

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