Frauen besitzen bekanntermaßen zwei X-Chromosomen, Männer nur eines. Um sicherzustellen, dass die DNA trotzdem korrekt und bei beiden Geschlechtern gleich abgelesen wird, wird eines der beiden X-Chromosomen der Frau automatisch inaktiviert. Dieser Mechanismus, bei dem das X-Chromosom so dicht „verschnürt“ wird, bis ein sogenannter Barr-Chromatinkörper (oder Barr-Körperchen) entsteht, wurde 1949 durch Murray Barr entdeckt.
Die X-Inaktivierung wird dabei durch die RNA Xist initiiert; zudem sind weitere Enzyme beteiligt, um das Chromatin dichter zu verpacken und letztendlich die Genexpression weitgehend abzuschalten. In einer aktuellen Studie, hat ein Forscherteam aus Gießen und Rotterdam den ersten Schritt der X-Inaktivierung entschlüsselt.
Protein ermöglicht Inaktivierung
Die Forscher*innen nahmen dazu das Protein SPEN/SHARP genauer unter die Lupe. SPEN/SHARP bindet direkt an die RNA Xist und ermöglicht somit die Inaktivierung des Chromosoms. Dieser Mechanismus findet nur auf einem X-Chromosom in weiblichen Zellen statt. Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Tilman Borrgrefe (Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU)) hatte ursprünglich SPEN/SHARP schon vor mehreren Jahren als Unterdrücker der Genexpression charakterisiert.
Auch in dieser aktuellen Studie zeigt sich, dass SPEN/SHARP auf dem X-Chromosom eine ausgeprägt unterdrückende Funktion innehat. Mittels der Genschere CRISPR-Cas9 wurde das Gen für SPEN/SHARP entfernt und gezeigt, dass so die Inaktivierung des X-Chromosoms komplett ausbleibt. Mit der Kombination von molekularbiologischen, biochemischen und zellbiologischen Methoden entdeckten die Forscherinnen und Forscher anschließend, dass in dem Prozess eine Xist-SPEN/SHARP-„Wolke“ entsteht, die sich mit der Zeit über das ganze X-Chromosom ausbreitet.
Quelle: Justus-Liebig-Universität Gießen
Publikationen:
- Gribnau J. et al.; SPEN is required for Xist upregulation during initiation of X chromosome inactivation; Nat Commun., 2021; doi: 10.1038/s41467-021-27294-5
- Borggrefe T. et al.; Chromatin Regulator SPEN/SHARP in X Inactivation and Disease; Cancers, 2021; doi: 10.3390/cancers13071665