Bluthochdruck führt zu kardiovaskulären Erkrankungen. Wichtigstes Therapieziel bei Menschen mit arterieller Hypertonie ist daher die Absenkung der Blutdruckwerte in den Normbereich. Die Nationale Versorgungsleitlinie Hypertonie empfiehlt eine individuelle Blutdruckeinstellung auf Werte unter 140/90 mm Hg. Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren diskutiert, ob eine Senkung auf Werte unter 120 mm Hg besser ist als eine Senkung „nur“ auf Werte unter 140 mm Hg.
Schlaganfall und Blutdrucksenkung
Besonders wichtig ist diese Frage für Risikopopulationen, z. B. bei Diabetes mellitus oder früherem Schlaganfall. Die SPRINT-Studie hatte gezeigt, dass eine Senkung des systolischen Blutdrucks auf Werte unter 120 mm Hg bei hohem kardiovaskulärem Risiko (ohne anhaltenden Schlaganfall oder Diabetes) wirksamer ist als die Senkung auf Werte unter 140.
Die ACCORD-Studie verglich die beiden systolischen Blutdruckziele bei Diabetikern und die RESPECT-Studie bei Personen, die zuvor einen Schlaganfall erlitten hatten, – beide Studien konnten keinen Vorteil für die restriktivere Senkung des Blutdrucks zeigen. Nun erschien in der renommierten Zeitschrift „The Lancet“ die ESPRIT-Studie („Effects of Intensive Systolic Blood Pressure Lowering Treatment in Reducing Risk of Vascular Events“).
Einfluss auf kardiovaskuläre Ereignisse
Sie gewährleisten die Wirksamkeit und Sicherheit einer intensiven Blutdrucksenkung (Zielwert unter 120 mm Hg) mit der Standardbehandlung (Zielwert unter 140 mm Hg) bei Menschen mit hohem kardiovaskulärem Risiko – darunter Personen mit Diabetes mellitus, mit früherem Schlaganfall oder mit anderen kardiovaskulären Risikofaktoren.
Es war die bisher größte randomisierte kontrollierte Studie zu den Auswirkungen einer Blutdrucksenkung auf Werte unter 120 mm Hg bei schwerwiegenden vaskulären Ereignissen. Es ist außerdem die erste randomisierte Studie, die bei Personen mit hohem kardiovaskulärem Risiko stirbt, ohne solche mit Diabetes oder früherem Schlaganfall auszuschließen.
Vergleich der Blutdruckbehandlungsstrategien
Von den 11 255 Teilnehmenden mit einem mittleren Alter von 64,6 ± 7 Jahren hatten 4359 einen Diabetes mellitus und 3022 einen Schlaganfall in der Vorgeschichte. 5624 erhielten eine intensive Blutdrucksenkung (unter 120 mm Hg) und 5631 die Standardbehandlung (unter 140 mm Hg). Der primäre kombinierte Endpunkt umfasst Ereignisse wie Schlaganfall, Herzinfarkt, Klinikaufenthalt wegen Herzinsuffizienz oder kardiovaskulärer Tod.
Während der Nachbeobachtungszeit von median 3–4 Jahren betrug der mittlere systolische Blutdruck in der Gruppe mit intensiver Behandlung 119 mm Hg (SD 11,1) und in der Gruppe mit Standardbehandlung 134,8 mm Hg (SD 10,5). Es gab bei den Ergebnissen insgesamt keine Abhängigkeit vom Diabetesstatus, der Diabetesdauer oder der Schlaganfallanamnese.
Statistische Signifikanz der Risikominderung
Der primäre Endpunkt trat bei 547 (9,7 %) der Personen mit intensiver Blutdrucksenkung und bei 623 (11,1 %) unter Standardbehandlung auf. Der Unterschied zwischen den Gruppen bzw. die Risikoreduktion (HR 0,88; 95 % KI 0,78-0,99) war statistisch signifikant (p=0,028).
Unerwünschte Ereignisse wie Hypotonie und Synkopen traten in der Intensivbehandlungsgruppe zwar genauso auf wie in der Standardbehandlungsgruppe (0,4 % vs. 0,1 %), doch hinsichtlich schwerwiegender unerwünschter Ereignisse wie Elektrolytveränderungen, Stürzen oder akuter Nierenschädigung gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen.
Schlaganfallrate in Intensivgruppe
In der Intensivbehandlungsgruppe kam es bei 4,7 % der Patientinnen und Patienten zu Schlaganfällen, in der Standardgruppe bei 5,4 % (HR 0,86; 95 % KI 0,73-1,02); Diese Reduktion verfehlte statistisch das Signifikanzniveau (p=0,083). „Die Studie war für den kombinierten primären Endpunkt gepowert, nicht für die Auswertung der einzelnen Komponenten Teil“, kommentierte Prof. Dr. Hans Christoph Diener, Essen.
„Weiterführende Studien zur Fragestellung, inwieweit eine intensive Blutdrucksenkung auch das Schlaganfallrisiko senken kann, sind sinnvoll.“ Doch allein die Beeinflussung des kombinierten primären Endpunkts ist beeindruckend.“
Leitlinien zur Sekundärprophylaxe
Auch die Subgruppenanalyse führte nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen, alle Risikogruppen qualifizierten gleichermaßen von der intensiven Blutdrucksenkung, Patientinnen und Patienten mit stattgehabten Schlaganfall ebenso wie die anderen Studienteilnehmenden, deren kardiovaskuläres Risiko aus anderen Gründen erhöht war.
Aktuell empfiehlt die Leitlinie zur Sekundärprophylaxe von ischämischen Schlaganfällen eine dauerhafte Blutdrucksenkung auf Werte unter 140/90 mm Hg. Wenn es im Hinblick auf Vorerkrankungen, das Alter und die Verträglichkeit möglich ist, könnten auch Werte von 120-130 mm Hg gesenkt werden. Kritisch ist dabei natürlich die Frage, ob der niedrige Blutdruck toleriert wird.
Änderungen in der Nachsorge
„Die aktuellen Studienergebnisse legen nahe, dass Patientinnen und Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko, darunter auch Menschen, die einen Schlagfall erlitten hatten, von einer intensiven systolischen Blutdrucksenkung auf Werte unter 120 mm Hg profitieren.“ Zwar geben sie keinen Beleg dafür, dass es zu weniger Folgeschlaganfällen kommt, aber das Risiko für das Eintreten der im primären kombinierten Endpunkt erfassten Ereignisse reduzierte sich um 12 %.
„Dieses Studienergebnis wird die derzeit gängige Praxis der Nachsorge von Schlaganfallpatientinnen und -patienten nachhaltig ändern und dafür sorgen, dass eine ambitioniertere Blutdrucksenkung als bisher angestrebt wird“, ergänzt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.
Originalpublikationen:
- Jiamin Liu, MD et al.; Lowering systolic blood pressure to less than 120 mm Hg versus less than 140 mm Hg in patients with high cardiovascular risk with and without diabetes or previous stroke: an open-label, blinded-outcome, randomised trial; The Lancet, 2024, DOI:10.1016/S0140-6736(24)01028-6
- Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF); Nationale VersorgungsLeitlinie Hypertonie; AWMF Online, 2024, DOI: 10.6101/AZQ/000502
- Jackson T Wright Jr et al.; A Randomized Trial of Intensive versus Standard Blood-Pressure Control; N Engl J Med, 2015, DOI: 10.1056/NEJMoa1511939
- William C Cushman et al.; Effects of intensive blood-pressure control in type 2 diabetes mellitus; N Engl J Med, 2010, DOI: 10.1056/NEJMoa1001286
- Kazuo Kitagawa et al.; Effect of Standard vs Intensive Blood Pressure Control on the Risk of Recurrent Stroke: A Randomized Clinical Trial and Meta-analysis; Jama Neurology, 2019, DOI: 10.1001/jamaneurol.2019.2167