Branche
on
Sonnenlicht beeinflusst Multiple Sklerose

UV-Licht löst im Körper von MS-Patienten ganz ähnliche Prozesse aus wie das Medikament Interferon. © K_Thalhofer / iStock / Getty Images Plus

| | |

Effekte von UV-Strahlung: Sonnenlicht beeinflusst Multiple Sklerose

Die Wahrscheinlichkeit an Multipler Sklerose (MS) zu erkranken nimmt zu, je mehr man sich dem Nord- oder Südpol nähert. Das stellte der US-Epidemiologe Gil Beebe schon 1967 fest. Er hatte Soldaten beobachtet, die mit ihren Familien überall auf der Welt stationiert waren. So entstand erstmals die Annahme, dass Multiple Sklerose irgendwie mit der Sonneneinstrahlung zusammenhängt. Doch der genaue Einfluss von ultraviolettem Licht auf die entzündliche Erkrankung des Nervensystems blieb jahrzehntelang ungeklärt.

Beeinflusst die Sonne nur die Wahrscheinlichkeit, überhaupt an MS zu erkranken? Oder sind einzelne Menschen auch unterschiedlich schwer betroffen, je nachdem wo sie wohnen? Wissenschaftler des Kompetenznetz MS (KKNMS) und des Sonderforschungsbereiches Multiple Sklerose (SFB TR128) der DFG beantworten nun beide Fragen mit „Ja“. Und sie zeigen noch mehr: UV-Licht löst im Körper von MS-Patienten ganz ähnliche Prozesse aus wie das Medikament Interferon.

Positiver Effekt

„Sonnenlicht beeinflusst den Schweregrad der MS offenbar positiv“, erklärt Prof. Dr. Nicholas Schwab von der Klinik für Neurologie in Münster und Leiter der groß angelegten Untersuchung. Dies ist die wichtigste Erkenntnis der Studie, die nun veröffentlicht wurde. Für ihre Arbeit werteten die Wissenschaftler die Daten von nahezu 2000 MS-Patienten aus.

„Die Kooperation im Kompetenznetz MS lieferte uns eine hochwertige Datenbasis, mit der wir verschiedene Blickwinkel einnehmen konnten“, erläutert Prof. Dr. Heinz Wiendl, Sprecher des Netzwerks und Leiter der Universitätsklinik für Neurologie in Münster. Die ausführlichen Patientendaten entstammen der NationMS-Kohorte des Netzwerks, einer großen nationalen longitudinalen Kohorte mit inzwischen 1400 Patienten. Nur so konnten die Wissenschaftler bei ihrer Analyse zahlreiche Einflussfaktoren berücksichtigen, darunter Wohnort, Geschlecht, und Lebensweise, aber auch die genetische Prädisposition für Sonnenempfindlichkeit.

MS-Beschwerden nehmen ab

Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass UV-Licht und MS schon auf einem relativ kleinen Gebiet wie Deutschland mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von knapp 1000 km zusammenhängen. Die aktiven Entzündungsherde in Gehirn und Rückenmark und auch der Beeinträchtigungsgrad nehmen von Süd- nach Norddeutschland im Mittel zu. Im Gegenzug nimmt der saisonbereinigte Vitamin D-Spiegel, wie auch die Sonneneinstrahlung, gen Norden ab. Bereits seit Jahren wird angenommen, dass Vitamin D unter anderem das Immunsystem beeinflusst und entzündungshemmend wirkt. Dies hatten auch die Wissenschaftler aus Münster 2014 schon in einer kleinen Studie untersucht.

Doch schon damals ahnten sie: Vitamin D kann nicht alles sein. Die Sonne beeinflusst die MS noch auf weiteren Wegen. Die aktuelle Studie gibt ihnen Recht. Um zu bestätigen, dass Sonnenlicht Ursache für die Unterschiede ist, zogen die Forscher Daten der NASA zu Rate. In einem sehr aufwändigen Verfahren schätzten sie die Menge an UV-Licht, der die Probanden im Jahr vor der Untersuchung im Schnitt ausgesetzt waren. Die Daten stützen das Ergebnis: Nimmt die Sonneneinstrahlung zu, nehmen die MS-Beschwerden im Mittel ab.

Ausnahme bei Behandlung mit Interferon-beta

Es gab jedoch eine Ausnahme: Wurden Patienten zuvor mit Interferon-beta behandelt, wirkte das Sonnenlicht nicht mehr. Das zeigten die MS-Forscher mithilfe von Daten aus einer Studie von französischen Kooperationspartnern. Sie haben dafür zwei mögliche Erklärungen. Einerseits kann Interferon-beta selbst der Auslöser sein, indem es die Vitamin-D-Produktion verändert. Das natürliche Nord-Süd-Gefälle beim Vitamin D-Spiegel könnte so aufgehoben werden. Andererseits könnte das Sonnenlicht ursächlich sein, denn: UV-Licht regt den Interferon-Signalweg an, wie die Wissenschaftler bei einer Analyse von Gensequenzen feststellten.

„Das ist interessant, da wir wissen, dass die MS gut auf die Behandlung mit Interferon-beta anspricht“, sagt Patrick Ostkamp, Autor der Studie. Bei Patienten, die bereits mit Interferon behandelt werden, sind die Effekte des Sonnenlichts, die auch über Interferon vermittelt werden, nicht mehr festzustellen. Denn der Signalweg kann nur einmal angeregt werden, entweder von Interferon oder von UV-Licht. Beides zusammen gibt keinen Zusatznutzen. Man kann sich das wie bei einem Glas mit Wasser vorstellen: Ist es einmal voll, läuft zusätzliche Flüssigkeit über den Rand.

Übermäßige UV-Strahlung ist schädlich

Trotz allen Nutzens gilt natürlich auch für MS-Patienten: übermäßige UV-Strahlung kann schädlich sein. Intensives Sonnenbaden fördert die Entstehung von Hautkrebs, insbesondere bei hellhäutigen und rothaarigen Menschen. Sie tragen eine genetische Variante des Melanocortin-1-Rezeptors (MC1R), der für die Bildung von hautschützendem Melanin zuständig ist.

Bei Trägern einer bestimmten Variante des MC1R war der Zusammenhang zwischen Breitengrad und MRT-Aktivität umgekehrt, „ein mehr an Sonnenlicht war also nicht nur für die Haut, sondern auch für die MS schädlich“ ", sagt Prof. Wiendl. Er rät dazu, sich bei der persönlichen Sonnenexposition an die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation zu halten. Eine halbe Stunde Sonne pro Tag ist danach für die meisten Menschen sinnvoll – auch und gerade, wenn sie unter Multipler Sklerose leiden.

Quelle: Krankheitsbezogenes Kompetenznetz Multiple Sklerose


Originalpublikation: Patrick Ostkamp et al.; German Competence Network Multiple Sclerosis (KKNMS) and the BIONAT Network. Sunlight ex- posure exerts immunomodulatory effects to reduce multiple sclerosis severity; Proc Natl Acad Sci U S A. 2021, DOI: 10.1073/pnas.2018457118

Newsletter abonnieren

Newsletter Icon MTA Blau 250x250px

Erhalten Sie die wichtigsten MT-News und Top-Jobs bequem und kostenlos per E-Mail.

Mehr zum Thema

Nervenzellen
Nahaufnahme von Frau im Rollstuhl

Das könnte Sie auch interessieren

3D Abbildung von Antikörpern.
3D-Animation eines an Hepatitis E leidenden Körpers.
3D-Illustration einer akuten myeloischen Leukämie.