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THS ist ein therapeutisches Verfahren, das in Deutschland bereits zur Behandlung von neurologischen Bewegungsstörungen zugelassen ist. © Jolygon / iStock / Getty Images Plus

Linderung der Symptome: Tiefe Hirnstimulation zur Behandlung von Alzheimer?

Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache von Demenzerkrankungen, bislang aber nicht gut behandelbar. Eine mögliche zukünftige Therapieform könnte die sogenannte Tiefe Hirnstimulation sein, die auch als Hirnschrittmacher bekannt ist. Ein Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat in einer Studie ein spezifisches Netzwerk im Gehirn von Alzheimer-Patient:innen ausgemacht, dessen Stimulation mit einer Linderung der Symptome einherging. Die Forschenden hoffen, dass die Studie den Weg für weiterführende Untersuchungen ebnet.

Die Tiefe Hirnstimulation (THS) ist ein therapeutisches Verfahren, das in Deutschland bereits zur Behandlung von neurologischen Bewegungsstörungen wie der Parkinson-Erkrankung und der Dystonie sowie für neuropsychiatrische Erkrankungen wie etwa die Zwangsstörung zugelassen ist. Im Gehirn der Betroffenen werden dafür feinste Elektroden implantiert, die fortwährend schwache, kurze elektrische Impulse an die jeweiligen Hirnregionen abgeben. Die Elektroden verbleiben dauerhaft im Gehirn und sind über Kabel, die unter der Haut verlaufen, an einen Schrittmacher im Brustraum angeschlossen. Über ihn können Stromstärke und Frequenz angepasst werden.

Therapieform THS ist relativ unbekannt

„Obgleich die THS schon seit gut 20 Jahren für die Behandlung von Parkinson etabliert ist und die Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden, ist diese Therapieform allgemein doch noch relativ unbekannt“, sagt Prof. Dr. Andreas Horn, Leiter einer Forschungsgruppe zu netzwerkbasierter Hirnstimulation, die sowohl an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Charité Campus Mitte als auch am Brigham & Women’s Hospital und Massachusetts General Hospital innerhalb der Harvard Medical School in Boston, USA, angesiedelt ist.

„Die THS wirkt bei Parkinson sehr gut, und die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten verbessert sich signifikant.“ Alzheimer gehört wie Parkinson zu den neurodegenerativen Erkrankungen, eine mögliche therapeutische Anwendung der THS wäre daher naheliegend. Doch für eine sichere und wirksame Behandlung müssen die zu stimulierenden Zielregionen im Gehirn ganz genau bekannt sein.

Zufallsbeobachtung förderte weitere Forschung

Ausgangspunkt der aktuellen Studie, die neben anderen Kooperationspartnern in enger Zusammenarbeit mit der Universität Toronto, Kanada, entstand, war eine Zufallsbeobachtung im Rahmen einer kanadischen Untersuchung. „Die Tiefe Hirnstimulation löste bei einem Patienten, der aufgrund einer Adipositas behandelt wurde, Flashbacks, also plötzliche Erinnerungen aus Kindheit und Jugend, aus“, sagt Dr. Ana Sofía Ríos von der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Charité Campus Mitte und Erstautorin der Studie. „Da lag die Vermutung nahe, dass sich die stimulierte Hirnregion, die sich im Bereich des sogenannten Fornix befand, womöglich auch für eine Behandlung von Alzheimer eignen könnte.“

Um dem nachzugehen, implantierten Forschende an sieben internationalen Zentren im Rahmen einer weiteren multizentrischen Studie bei an leichtem Alzheimer erkrankten Teilnehmenden Elektroden in diesem Bereich des Fornix. „Bei den meisten Patientinnen und Patienten zeigte sich leider keine Verbesserung der Alzheimer-Symptomatik. Doch einige wenige Studienteilnehmende profitierten deutlich von der Behandlung“, sagt Dr. Ríos. „Wir wollten herausfinden, wie dieser Unterschied zustande kam und verglichen dafür die genaue Position der Elektroden zwischen den Studienteilnehmenden.“

Jedes Gehirn ist anders

Die Forschungsgruppe um Prof. Horn hat sich darauf spezialisiert, hochaufgelöste Bilder des Gehirns, die mithilfe der Kernspintomographie aufgenommen werden, zu analysieren und in Kombination mit Computermodellen die optimalen Stimulationspunkte für eine THS im Gehirn hochpräzise aufzuspüren. „Eine besondere Herausforderung dabei ist: Jedes Gehirn ist anders. Und das spielt bei der Implantierung der Elektroden eine große Rolle“, sagt Prof. Horn. „Liegt man nur wenige Millimeter daneben, bleibt der erwartete Effekt unter Umständen aus.“

Auch bei dem Großteil der Studienteilnehmenden war das der Fall. Das Forschungsteam um Prof. Horn konnte aber bei denjenigen Alzheimer-Patient:innen, bei denen die THS anschlug, die genaue Position der Elektroden anhand der Bilddaten im Nachgang exakt bestimmen. „Sie liegt an einer Zweigstelle zwischen zwei Nervenfaserbündeln, dem Fornix und der Stria terminalis, die tiefgelegene Hirnregionen miteinander verbinden. Beide Strukturen werden mit der Gedächtnisfunktion in Verbindung gebracht“, erklärt der Neurowissenschaftler.

Weiterführende klinische Studien nötig

Bis die THS für die Behandlung von Alzheimer zugelassen und eingesetzt werden kann, sind noch weiterführende klinische Studien nötig. Die Ergebnisse des Forschungsteams um Prof. Horn stellen dafür eine wichtige Grundlage dar. „Wenn unsere Daten dabei helfen, dass die Elektroden im Rahmen neurochirurgischer Studien zur Erprobung der THS bei Alzheimer zielgenauer platziert werden können, wäre das großartig“, sagt Prof. Horn. „Denn für Alzheimer benötigen wir dringend eine wirksame und symptomlindernde Therapie, um den Patientinnen und Patienten helfen zu können, die THS ist dafür ein vielversprechender Ansatz.“

In künftigen Forschungsarbeiten wird das Team um Prof. Horn weitere Netzwerke von Nervenzellen im Gehirn untersuchen und präzisieren, die für mögliche Therapien von Demenzerkrankungen relevant sein könnten. Dabei werden sich die Forschenden unter anderem Bereiche mit Hirnschädigungen genauer anschauen und neben Zielorten für die THS auch solche für andere Verfahren der Neurostimulation in ihre Untersuchungen einbeziehen.

Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin


Originalpublikation: Ana Sofía Ríos et al.; Optimal deep brain stimulation sites and networks for stimulation of the fornix in Alzheimer’s disease; Nature Communications 13, 2022, DOI: 10.1038/s41467-022-34510-3

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