OTI sind Medikamente, die das Blut verdünnen, sogenannte Antikoagulantien. Sie werden bei Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern verordnet, um das Risiko für Schlaganfälle zu senken. Die sogenannten neuen oralen Antikoagulantien (NOAKs), zu denen die oralen Thrombininhibitoren (OTI) gehören, stellen eine attraktive Alternative zu den herkömmlichen Blutverdünnern, den Vitamin-K-Antagonisten (VKA), dar.
Denn verglichen mit VKAs weisen NOAKs wie OTI einige Vorteile auf: z.B. ein geringeres Schlaganfallrisiko, auch schwere Blutungen sind seltener. Zudem haben sie weniger Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, die bei VKAs notwendigen regelmäßigen Blutkontrollen entfallen, und die Ernährung kann die blutverdünnende Wirkung nicht so leicht beeinflussen.
„Einige große Meta-Analysen mit mehreren 10 000 Patienten haben jedoch ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte festgestellt, wenn die Patienten OTI erhielten“, berichtet Dr. Tobias Petzold vom Universitätsklinikum München. „Dieser Beobachtung wollten wir nachgehen und herausfinden, warum Patienten mehr Herzinfarkte bekommen, wenn sie den Blutverdünner erhalten, der sie ansonsten gut vor Schlaganfällen und Beinvenenthrombosen schützt.“
Knackpunkt Blutfluss
Das Münchner Team untersuchte hierfür Blutproben von Patienten, die entweder OTI oder einen Vitamin-K Antagonisten erhielten und Blut von gesunden Menschen. Das Blut füllten sie in kleine Plastikflusskammern, die mit verschiedenen Oberflächen beschichtet waren: u.a. Kollagen, einem Bestandteil der Gefäßwände oder dem von-Willebrand-Faktor, der bei der Blutstillung eine Art Brücke zwischen Blutplättchen und Gefäßwand bildet.
Eine weitere Beschichtung bestand aus humanem atherosklerotischen Plaquematerial, also Ablagerungen, die aus der Halsschlagader von Patienten mit Gefäßverkalkung isoliert wurden. Die Münchner Wissenschaftler waren nicht die ersten, die sich die Unterschiede im Blut angeschaut haben. Vorherige Studien hatten das Blut unter statischen Bedingungen untersucht.
Entscheidend für die Entdeckung der DZHK-Wissenschaftler war jedoch, dass sie in ihren Kammern den Blutfluss simuliert haben. Denn nur dann lagerten sich die Blutplättchen im OTI-Blut vermehrt zusammen und es bildeten sich mehr Gerinnsel. In den mit Plaques beschichtete Kammern verstärkte sich der Effekt noch. Auch im Tiermodell konnten die Forscher diese prothrombotischen Effekte von OTI bestätigen.
Sie vermuten, dass OTI die Bindung des Gerinnungsfaktors Thrombin an einen Oberflächenrezeptor auf Blutplättchen verändert. Denn Antikörper, die diese Bindung blockieren, verhindern auch das Zusammenlagern der Blutplättchen und die Bildung von Blutgerinnseln. „Dieser Mechanismus könnte dazu beitragen, dass Herzinfarkte bei Patienten, die OTI einnehmen, häufiger auftreten“, erklärt Petzold.
Herzinfarkt-Risiko berücksichtigen
Noch gibt es keine klinischen Studien, die diesen im Labor beobachteten Effekt untermauern. Ebenso können diese Laborergebnisse nicht einfach auf die Klink übertragen werden, denn dafür spielen zu viele Faktoren bei der Bildung von Gerinnseln oder dem Entstehen eines Herzinfarktes eine Rolle. Doch für die Münchner Ärzte leitet sich daraus ab, dass man vor der Gabe von OTIs das Herzinfarkt-Risiko des Patienten abwägen sollte, also ob etwa Ablagerungen in den Herzkranzgefäßen vorliegen.
„Sofern jedoch kein Herzinfarkt-Risiko vorliegt, überwiegen eindeutig die Vorteile von OTI“, betont Petzold. In den nächsten Jahren wird es seiner Meinung nach darum gehen, mithilfe klinischer Studien den optimalen Blutverdünner für unterschiedliche Patientengruppen zu bestimmen.
Quelle: Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung e.V.
Originalarbeit: Petzold, T. et al.; Oral Thrombin Inhibitor Aggravates Platelet Adhesion and Aggregation During Arterial Thrombosis; S. Science translational medicine, 2016; doi: 10.1126/scitranslmed.aad6712