Ergotismus bezeichnet die Vergiftung durch Alkaloide des Pilzes Claviceps purpurea, wie Ergotamin. Diese Substanzen sind natürliche Wirkstoffe mit psychoaktiver und toxischer Wirkung. Sie führen zu starker Vasokonstriktion, wodurch die Durchblutung der Extremitäten, von Herz und Nieren massiv eingeschränkt wird. Akut kann dies zu Nekrosen der Gliedmaßen, Atem- und Herzstillstand führen.
Die toxische Wirkung von Mutterkorn
Bei Überdosierung von Ergotamin kommt es zu einem ausgeprägten Vasospasmus, der die Arterien der Extremitäten, der Herzkranzgefäße und der Nieren betrifft. Klinisch zeigt sich dies durch Parästhesien und Hypästhesien, zyanotische Veränderungen der Haut und Schleimhäute sowie teilweise Lähmungen (Paresen).
Begleitend treten Allgemeinsymptome wie Erbrechen, Durchfall, Verwirrtheit, Schwindel und Kopfschmerzen auf. Schwere Fälle können durch die Vasokonstriktion der Koronararterien tödlich verlaufen.
Zwei Verlaufsformen des Antoniusfeuers
Historisch lassen sich zwei Hauptformen unterscheiden. Die erste war durch schmerzhafte Krampfanfälle und Muskelzuckungen gekennzeichnet, die bis zu epilepsieähnlichen Zuständen führen konnten. Die zweite Form der Vergiftung war für Nekrosen (abgestorbene Gewebeteile) verantwortlich, die bis hin zum Verlust ganzer Extremitäten führten, die sich vom Körper ablösten. Patienten beschrieben ein stark brennendes Gefühl, das der Namensgebung als „Brandseuche“ zugrunde liegt.
Historie und Namensgebung
Der Name „Antoniusfeuer“ geht auf das Mittelalter zurück und erinnert an die scheinbar dämonischen Qualen der Erkrankten sowie an den heiligen Antonius, einen christlichen Eremiten aus dem 4. Jahrhundert. Die Vergiftung durch Mutterkornalkaloide wird in der Fachsprache als Ergotismus bezeichnet; aufgrund der auffälligen Symptome sind jedoch auch die Bezeichnungen „Kribbelkrankheit“ oder „Krampfseuche“ geläufig. Auffällig war, dass vor allem ärmere Bevölkerungsschichten betroffen waren, während wohlhabende Menschen meist verschont blieben.
Im 13. Jahrhundert entstand der Antoniterorden, der es sich zur Aufgabe machte, den vom Ergotismus geplagten Menschen zu helfen. Der Orden gründete unter anderem im elsässischen Isenheim ein Kloster und unterhielt Zweigniederlassungen in Städten wie Basel. Bereits 1195 vermutete der Franzose Robert Dumond, dass verdorbenes Brot die Erkrankung auslöse. Später, 1630, erkannte der französische Arzt Thuillier die Ursache, doch schwere Vergiftungen traten in Europa weiterhin bis Ende des 19. Jahrhunderts auf.
Biologie und Pathophysiologie
Der Mutterkornpilz Claviceps purpurea ist unscheinbar, aber hochgiftig und produziert Alkaloide, die beim Menschen Ergotismus auslösen können. Er befällt vor allem Roggen, Weizen und Wildgräser. Überdauerungsformen des Pilzes, die Sklerotien, überstehen den Winter im Boden. Im Frühjahr entstehen Ascosporen, die Blüten infizieren.
Myzelschläuche wachsen in die Fruchtknoten und erzeugen asexuelle Sporen, die über Honigtau von Insekten oder Wind auf weitere Pflanzen übertragen werden. Mit der Getreidereife ersetzt der Pilz die Körner durch harte, dunkelbraune Sklerotien – die sogenannten Mutterkörner – die erneut den Winter überdauern und so den Infektionskreislauf schließen. Da der Pilz bereits seit dem Getreideanbau existiert, sind auch antike Ausbrüche des Antoniusfeuers plausibel.
Historischer Ausbruch
Der letzte größere Ausbruch des Antoniusfeuers ereignete sich 1926 in der Sowjetunion, bei dem rund 10 000 Menschen an vergiftetem Brot starben. Heute befällt der Pilz weiterhin Getreide, allerdings sind die Ursachen bekannt und wissenschaftlich aufgearbeitet. Moderne Fälle von Ergotismus entstehen hauptsächlich durch eine Überdosierung von Medikamenten, die Mutterkornalkaloide oder deren Derivate enthalten, wie sie gelegentlich noch in der Migränebehandlung eingesetzt werden, wenn andere Therapieoptionen keine ausreichende Wirkung zeigen. Die Symptome und pathophysiologischen Mechanismen entsprechen im Wesentlichen denen der historischen Epidemien.
Das Antoniusfeuer ist ein historisches Beispiel für die dramatischen Folgen von Ergotismus. Heute ist die Erkrankung selten und gut kontrollierbar, doch die Mechanismen der Mutterkornalkaloid-Vergiftung – Vasokonstriktion, Nekrosen, neurologische Symptome – sind unverändert relevant.
Katja Löffler
Quellen
- Regionatur.ch: Antoniusfeuer
- DocCheck: Ergotismus
- Apotheken.de: Ergotismus
- Heinz Flamm; Der Ergotismus – ein Ackerunkraut aus Mesopotamien wurde in Europa zum noch immer aktuellen Epidemie-Erreger; Wiener Medizinische Wochenschrift, August 2022, DOI: 10.1007/s10354-022-00960-z





