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Probenröhrchen zur Ermittlung von Mutation in Genom-Sequenz.

Die Sequenzierung des Genoms ist sowohl zeit- als auch kostenintensiv. © unoL / iStock / Getty Images Plus

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Genom-Sequenzierung: Auf der Suche nach der nächsten gefährlichen Mutation

Um Corona-Mutationen auf die Spur zu kommen, spielt die Genom-Sequenzierung der Corona-Viren eine entscheidende Rolle. Damit werden Mutationen und Infektionsketten frühzeitig erkannt, um unter Umständen prüfen zu können, ob beim Infektionsschutz der Bevölkerung Handlungsbedarf besteht. Hinzu kommt: Besorgniserregende Virus-Varianten können dadurch schnell entdeckt oder ausgeschlossen werden.

Unsere Autorin Beatrix Polgar-Stüwe führte zu diesem Thema ein Gespräch mit Dr. Dennis Hoffmann, Technischer Laborleiter im Labor Dr. Wisplinghoff in Köln.

Warum Genom-Sequenzierung?

Wie lässt sich genau herausfinden, mit welcher Variante beziehungsweise Sub-Variante eine Ansteckung mit COVID-19 erfolgte? War es das derzeit grassierende Omikron? Oder gar eine neue Variante? Geht es noch genauer? Handelte es sich um die Omikron-Variante XBB 1.5, BQ 1.1.13 oder gar eine andere? Um diese Fragen zu klären, muss die Probe des positiven PCR (Polymerase Chain Reaction) mittels Sequenzierung genauer untersucht werden.

Tabelle zur Erläuterung der SARS-CoV-2-Genomsequenzierungen 2023

Aus Twitter © Labor Dr. Wisplinghoff: Auswertung Sars-Cov-2 Genomsequenzierungen nach Kalenderwochen 2023

Wie oft wird bei Corona nach dem Genom gesucht?

In Deutschland wird nicht jeder PCR-Test zusätzlich auf genetische DNA-Änderungen untersucht. Denn, diese spezielle molekularbiologische Analyse, die Fachleute Genom-Sequenzierung nennen, ist zeitaufwendig und kostet auch viel Geld. Daher wird durch die Coronavirus-Surveillanceverordnung (CorSurV)1 des Bundesgesundheitsministeriums nur eine Stichprobe von etwa zehn Prozent der PCR-Tests genauer untersucht. Diese Ergebnisse werden an das Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet. Die Verordnung trat am 19. Januar 2021 in Kraft und gilt bis 31. Juli 2023. Welche gesetzlichen Regelungen ab August 2023 gelten, steht derzeit noch nicht fest.

Was ist der Unterschied zwischen Typisierung und Sequenzierung?

Mit einer weiteren angepassten Zusatztestung des eingereichten PCR-Materials können spezialisierte Labore in der Regel innerhalb eines Arbeitstags nur grob auf die mutations-spezifische Haupt-Viruslinien wie zum Beispiel Alpha, Beta oder Omikron schlussfolgern. „Aber das war es dann auch schon. Eine genaue Bestimmung der eigentlichen Virus-Variante ist bei der Typisierung eines PCR-Testmaterials nicht möglich. Das kann nur die Sequenzierung leisten“, bekennt Dr. Dennis Hoffman, Laborleiter bei Dr. Wisplinghoff in Köln. Für eine Genom-Sequenzierung sind andere Geräte nötig als bei einer PCR-Analyse.

Abbildung einer Anlage zur Genomsequenzierung

Blick Anlage zur Genomsequenzierung (Hochdurchsatz-Sequenzierung) im Labor Dr. Wisplinghoff Köln © Beatrix Polgar-Stüwe

Entscheidend sei beim Sequenzieren, dass die Varianten im Hintergrund rausgefischt werden, die vielleicht Eigenschaften entwickeln, die das Virus gefährlicher machen, sagt der Naturwissenschaftler Dr. Hoffmann. Dabei wird unterschieden zwischen Variant of Interest (VOI) oder besorgniserregende Virusvarianten, sogenannte Variants of Concern (VOC).

Warum ist eine Genom-Sequenzierung bei Corona so aufwändig?

Der Aufwand einer Genom-Sequenzierung ist deutlich größer und deshalb auch teurer. „Dazu brauchen wir ein bisschen Ruhe und schaffen sie definitiv nicht an einem Tag. Wir müssen mindestens zwei Arbeitstage für eine Sequenzierung ansetzten, auch dadurch, dass wir die Proben für das RKI poolen“, so Dr. Hoffmann. Poolen bedeutet, dass die positiven Patienten-Proben gesammelt werden und für die RKI-Stichprobe gemischt werden.

„Je nachdem, wie hoch die Inzidenz ist, gibt das RKI vor, wieviel Prozent der positiven Proben für die Surveillance-Studie untersucht werden.“ Das seien in der Regel 5 bis 10 Prozent. „Im Moment sind fast 50 Prozent aller von uns untersuchten PCR-Tests positiv, so dass wir derzeit relativ mehr Sequenzierungen machen müssen als bei einer sehr niedrigen Covid-Positiv-Rate“, erklärt Dr. Hoffmann.

Portraitbild Dr. Dennis Hoffmann

Dr. Dennis Hoffman im Labor Dr. Wisplinghoff © Beatrix Polgar-Stüwe

Wie funktioniert Genom-Sequenzierung bei Covid?

Um die ganze Abfolge des Virus-Erbguts zu bestimmen, ist eine sogenannte Genom-Sequenzierung nötig. Hierzu wird die Sequenz des Virus-Erbguts bestimmt, also das Erbmaterial Baustein für Baustein abgelesen. So können alle Mutationen im Virus-Erbgut nachvollzogen werden.

Dann kann die analysierte Virusvariante exakt in den Stammbaum von SARS-CoV-2 eingeordnet werden. Eine Genom-Sequenzierung macht also eine abschließende Zuordnung zu den SARS-CoV-2-Varianten möglich. Zusätzlich fallen manchmal unbekannte Virus-Varianten auf. Dann wird es spannend. Die Sequenzdaten erlauben immer Rückschlüsse auf die Evolution des Virus, nicht aber auf seine Eigenschaften.

Was hat es mit den Mutationen auf sich?

Eine Mutation (Veränderung) kann negative oder positive Auswirkungen auf die Eigenschaften eines Virus haben, also einen Vorteil oder einen Nachteil beispielsweise für die Vermehrungs- oder Überlebensfähigkeit ausmachen. Sehr viele Mutationen haben jedoch überhaupt keine Folgen beispielsweise für die Schwere der Erkrankung oder das Krankheitsbild, wie aktuell bei der Omikron-Variante.

Wann „freut“ sich das Corona-Virus?

„Das Virus, das alle Menschen infiziert, ohne dass die Population stirbt, ist das bestangepasste Virus“, erklärt Dr. Hoffmann. Das sei zwar ärgerlich für die Menschen, aber so sei der Lauf der Dinge in der Evolution. „Ein Virus wie Ebola bringt leider sehr häufig seinen Wirt um“, sagt Dr. Hoffmann.

Die Sterblichkeitsrate bei Ebola liegt je nach Virusvariante mit 30 bis 90 Prozent sehr hoch. Ebola konnte aber weitgehend eingedämmt werden, Corona dagegen noch nicht. Warum? „Das liegt auch daran, weil das Covid-Virus so geschickt mutiert bei der Suche nach seinem neuen Wirt, ohne dass ihm das Kollektiv zum Infizieren wegbricht“, erklärt Dr. Hoffmann.

Wo liegt der Nutzen der Genom-Sequenzierung bei Corona?

„Mit der Genom-Sequenzierung lassen sich der evolutionären Drang des Virus beobachten und gleichzeitig nachverfolgen, ob oder inwieweit ein Eintrag in eine neue Spezies vorliegt,“ sagt Dr. Hoffmann. Ein Instrument der Frühwarnung sei damit möglich. Dann stellen sich verschiedene epidemiologische Fragestellungen: Verbreitet sich das neue Virus schneller als das vorhandene Virus?

Das würde bedeuten, dass es virulenter ist. Welche Konsequenzen ergeben sich dann für die Hospitalisierung? Eine Strategie zum Schutz der Bevölkerung lasse sich erst mal nicht anhand der Sequenzierung abschätzen, gibt Dr. Hoffman zu. Aber man könne schauen, ob man eine stabile Situation hat, weil beispielsweise bei einem hohen Bekanntheitsgrad eines Virusstammes eine höher Wahrscheinlichkeit für einen vorhandenen Infektionsschutz anzunehmen sei. Das gelte auch für die Sub-Spezies.

Alternativ könne man dann Konsequenzen prüfen, beispielsweise in Richtung schärferer Isolation oder sonstigen Schutzmaßnahmen. Oder aber auch, ob Lockerungen empfehlenswert sind. „Aber all das ist Einschätzung der Gesundheitsbehörden und der Politik, die uns als beobachtenden Wissenschaftlern halt nicht obliegt,“ räumt der Laborleiter ein.

Genomsequenzierungen werden in Deutschland an verschiedenen Stellen von kompetenten Laboratorien durchgeführt, so beispielsweise beim Labor Dr. Wisplinghoff in Köln.

Molekularbiologie in der MT-Ausbildung

Seit dem diesjährigen Inkrafttreten des MTA-Reformgesetzes sind molekularbiologische Methoden und Verfahren Bestandteil der Lehrpläne in der MT-Ausbildung. Die Molekularbiologie erfordert bei MT-Fachkräften (früher MTA) höchstes Maß an Präzision und sauberes Arbeiten. Aus Untersuchungsmaterialien werden spezifische Gensequenzen, zum Beispiel aus Viren isoliert, anschließend mittels Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) vermehrt und mit verschiedenen Methoden detektiert.

„Aber mittlerweile wird bei uns im Labor nicht mehr die klassische Sanger-Sequenzierung gemacht, sondern die Hochdurchsatz-Sequenzierung, auch als Next Generation Sequencing (NGS) benannt,“ erklärt Dr. Hoffmann. Das ist eine parallele Sequenzierung von tausenden Nukleinsäure-Fragmenten, wobei Sequenzveränderungen wie z.B. Mutationen detektiert werden.

Wie sieht die aktuelle COVID-Gefährdung aus?

Das RKI beurteilt die Gefährdung im Frühjahr 2023 durch COVID-19 für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als moderat. „Übertragung, Krankheitsschwere und Ressourcenbelastung des Gesundheitswesens durch COVID-19 gehen zurück.“2

Warum reagieren Corona-Selbsttests und Schnelltest derzeit scheinbar nicht so gut?

Derzeit haben viele den Eindruck, dass die handelsüblichen Selbst- und professionellen Schnelltests beim Omikron-Stamm nicht so gut reagieren. „Ich glaube nicht, dass es sich um eine Omikron-spezifische Sache handelt“, bekräftigt Dr. Hoffmann. Vielmehr müssten die durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) als verlässlich gelisteten COVID-Tests bei einem CT-Wert von 25 anschlagen. „Aber derzeit haben viele Erkrankte nur einen CT-Wert von 30 und fallen damit aus vielen Tests raus. Es zeigt sich ein negatives Testergebnis, obwohl sie vielleicht positiv sind.“

Wichtig: Je höher der CT-Wert ist, desto weniger nachweisbar und weniger ansteckender ist die Erkrankung. Man muss sich an die Ursprungsidee der Tests erinnern: Sie sollten die besonders ansteckenden, also hoch virulenten Menschen anzeigen. „In der Regel wird jemand mit einem CT-Wert von 30 oder darüber nicht zum Superspreader, wenn er sich vernünftig und rücksichtsvoll verhält, wie halt bei einer Erkältung.“

In einem weiteren Artikel wird es um das Thema Genom-Sequenzierung von Corona im Abwasser gehen. Können die Infektionsdynamik oder gar die Dunkelziffer damit besser festgestellt werden? Zum PCR-Test gehen heute nur noch wenige, auf die Toilette aber jeder.

Beatrix Polgar-Stüwe


Quellen:
1 Kriterien für die anlassbezogene Sequenzierung im Rahmen der Coronavirus-Surveillanceverordnung (CorSurV); Robert-Koch-Institut (RKI) Stand: 4.7.2022
2 Risikobewertung zu COVID-19; Robert-Koch-Institut (RKI)

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