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Symbolbild Genomsequenzierung

Daten die mithilfe der Genomsequenzierung gewonnen werden, können in der personalisierten Medizin für individuelle Therapieentscheidungen genutzt werden. © Tetiana Lazunova / iStock / Getty Images Plus

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genomDE: Genomsequenzierung für alle?

In Deutschland ist ein Projekt zum Aufbau einer bundesweiten Plattform zur medizinischen Genomsequenzierung gestartet. Anfang Dezember wurde das wissensgenerierende Versorgungskonzept in einem Workshop vorgestellt: Neben führenden medizinischen Netzwerken und Fachgesellschaften sind zahlreiche Patientenverbände beteiligt.

Die am 1. Oktober 2021 gestartete Initiative zielt auf eine bundeseinheitliche Plattform zur Genomsequenzierung ab und soll das laut § 64e SGB 5 gesetzlich verankerte „Modellvorhaben Genomsequenzierung“ unterstützen. Insgesamt sind an dem vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten, drei Jahre laufenden Konsortium 14 Partner beteiligt. Die Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V. (TMF) koordiniert die Zusammenarbeit, unter anderem, um eine entsprechende Dateninfrastruktur zu konzipieren.

Ziel von genomDE ist es, die Genomsequenzierung von Erkrankten in die Regelversorgung einzuführen, um damit genetisch gesicherte Diagnosen zu etablieren und personalisierte Therapien zu ermöglichen. Diese speziell auf Patienten zugeschnittenen Maßnahmen dienen neben der Behandlung auch der Prävention. Im Fokus steht dafür der Aufbau eines sicheren Datenbanksystems, das Gesundheitsversorgung, Entwicklung und Forschung verbindet und dabei relevante ethische, regulatorische und rechtliche Aspekte berücksichtigt.

Daneben sollen weitere Versorgungsstrukturen aufgebaut, vorhandene genommedizinische Strukturen vernetzt und Standards in den Sequenzierungstechnologien etabliert werden. Um diese Daten klinisch zu nutzen, muss auch das medizinische Personal aus- und weitergebildet werden. Ein wichtiger Aspekt des Konsortiums beinhaltet zudem die Einbindung von Patientenvertretungen und Bürgern, um die Akzeptanz von genomDE zu erhöhen und frühzeitig Fragen zu Nutzen oder Risiken zu beantworten.

So merkten die Patientenverbände an: „Menschen mit einer Krebserkrankung haben starkes Interesse an der umfassenden Einbindung der Genomsequenzierung in die Versorgung … Daher begrüßen wir es sehr, dass die persönliche Erfahrung und das Wissen der Betroffenen in die interdisziplinäre Entwicklung der Plattform eingebunden werden“, sagte Hedy Kerek-Bodden, Vorsitzende, Haus der Krebs-Selbsthilfe – Bundesverband e. V. Durch eine zeitnahe Verfügbarmachung der genetischen Daten soll genomDE auch die internationale medizinische Forschung stärken. Da es ähnliche Strategien bereits in anderen europäischen Ländern gibt, soll das Projekt mit der 1+Million-Genome-Initiative der EU verknüpft werden.

Start mit onkologischen und seltenen Erkrankungen

Zu Beginn stehen onkologische und seltene Erkrankungen im Fokus, denn insbesondere hier bestehe ein großer Nachholbedarf, erklärte Prof. Heiko Rieß, Ärztlicher Direktor am Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik am Universitätsklinikum Tübingen: „Die Zeit bis zur Diagnosestellung kann bei Patienten mit seltenen Erkrankungen deutlich reduziert werden“, so der Experte, „denn ein Patient braucht eine klare Diagnose. Bislang konnte die Pharmaindustrie in Deutschland kaum Therapiestudien planen. Sie musste sich an Länder mit einer besseren Struktur wenden, um klare Informationen zu bekommen. genomDE bietet hier eine große Chance, ein breites Versorgungsnetz aufzubauen und möglichst viele Patienten einzubeziehen. Alle Patienten, für die eine Diagnose gestellt wurde, müssen Zugang zu einer hochspezialisierten Versorgung bekommen; doch ebenso müssen wir für die Patienten, die keine (genetische) Diagnose erhalten haben, weitere Methoden entwickeln und in die Diagnostik einführen, beispielsweise neue bioinformatische Algorithmen und neben der DNA- auch die RNA-Sequenzierung.“

Für die Diagnose Lungenkrebs fügte Prof. Dr. Jürgen Wolf, Ärztlicher Leiter des Zentrums für Integrierte Onkologie, Universitätsklinikum Köln hinzu: „Von einer molekular gesteuerten Präzisionstherapie können 30 Prozent der Menschen mit fortgeschrittenem Lungenkrebs mit einer um Jahre verlängerten Überlebenszeit bei guter Lebensqualität profitieren. Die genomDE Initiative ermöglicht die Entwicklung und Anwendung personalisierter Therapieansätze auch für Patienten, für die es diese Möglichkeiten aktuell noch nicht gibt,“ sagte er, auch in seiner Funktion als Sprecher des nationalen Netzwerks Genomische Medizin-Lungenkrebs.

Diese Aussagen bekräftigten beteiligte Patientenverbände, so Bärbel Söhlke, Vorstandsmitglied vom zielGENau e. V. Patienten-Netzwerk Personalisierte Lungenkrebstherapie: „Für Lungenkrebspatienten wurde die molekulare Diagnostik und die Ableitung einer personalisierten Therapie zum Schlüssel für ein deutlich längeres Überleben mit verbesserter Lebensqualität … Und: Unsere Patienten wollen ihre Daten teilen, auch wenn sie selbst nichts mehr davon haben“. Für Diskussionen im Bereich Datenschutz und Ethik sind die Datensouveränität und der verantwortliche Umgang mit Daten ein ausschlaggebender Punkt. Immerhin liegt die Relevanz und Aussagekraft bei genetischen Daten deutlich höher als bei einem einfachen Urin- oder Bluttest.

Was ändert sich in der Praxis, insbesondere in Laboren?

Benötigt wird zunächst einmal mehr ärztliches Personal, weil genetische Befunde erhoben werden und deren Bedeutung und Tragweite den Erkrankten und Angehörigen erklärt werden müssen. Bislang liegen insbesondere für seltene Erkrankungen kaum Erfahrungen vor. Doch nun werden Wissensdatenbanken aufgebaut, die schnellere und umfassendere Informationen ermöglichen.

Am Beispiel Tumortherapie verdeutlicht der Genetiker Prof. Rieß: „Wir brauchen Experten auf allen Ebenen: in Genomanalytics, Bioinformatik, Befundung, Therapieumsetzung, daneben Case Manager, Dokumentare usw. Nur so erreichen wir einen Durchbruch für die Patienten, die bisher trotz Chemo- und Bestrahlungstherapie progredient sind, denn sie sprechen auf eine zielgerichtete Gentherapie erstaunlich gut an. In wenigen Jahren können wir die Indikation zur zielgerichteten Therapie hoffentlich viel früher stellen. Eine Investition in die Ausbildung, gegebenenfalls mit neuen Weiterbildungskonzepten und vor allem interdisziplinär ist mehr als sinnvoll.“

Aus- und Fortbildung werden also künftig eine wichtige Rolle spielen, auch für das Laborpersonal, das die Befunde erstellt. So fasst Prof. Dr. Markus Nöthen, Direktor am Institut für Humangenetik, Universitätsklinikum Bonn, zusammen: „Das Projekt soll Strukturen für Kompetenz schaffen, um das Genom auszuwerten. Diese Kompetenz kann nur im Verbund gelingen, denn diese Diagnostik ist sehr wichtig im klinischen Alltag, der Bedarf ist enorm!“

von Mirjam Bauer

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