Von der ersten Minute an, wenn ein Baby auf die Welt kommt, entwickelt es eine individuelle Besiedlung mit Mikroorganismen. Es kommt aus der sterilen Umgebung des Mutterleibes und ist zum einen direkt verschiedenen Mikroorganismen ausgesetzt, zum anderen nimmt es verschiedene von der Mutter auf.
Neben der Art der Geburt hat die Ernährung einen Einfluss auf die Entwicklung des Darm-Mikrobioms. Wer sich gesund und ausgewogen ernährt, bei dem finden sich sehr vielfältige Mikroorganismen im Darm. Eine einseitige Ernährung bedingt auch eine verminderte Darmflora, was wiederum zu Krankheiten führen kann.
Unterschiede zwischen Kaiserschnitt und natürlicher Geburt
Eine Studie im Jahr 2019 zeigte durch die Untersuchung von Kotproben direkt nach der Geburt sowie 21 Tage später bereits erste Unterschiede zwischen Säuglingen, die auf natürlichen Weg zur Welt kamen und Säuglingen, die per Kaiserschnitt geboren wurden. Ein zentrales Ergebnis dieser Studie war, dass sich bei Kaiserschnitt-Geborenen nicht nur eine verminderte Anzahl von „guten“ mütterlichen Bacteroides-Stämmen fanden.
Innerhalb von wenigen Tagen fanden sich zudem eine vermehrte Besiedlung mit opportunistischen Krankheitserregern wie Enterococcus- oder Enterobacter-Arten. Opportunistische Krankheitserreger sind dabei Erreger, die bei einem verschlechterten Allgemeinzustand eine Krankheit verursachen können.
Einzigartiges mikrobielles Muster
Und so hat jeder Mensch aufgrund seiner Geburt, seiner Ernährung und seines Lebensstils ein individuelles Darm-Mikrobiom. Die Mikroorganismen im Darm haben ein genetisches Muster, welches für jeden Menschen einzigartig ist. Bereits 2015 fand das Forschungsteam um Eric A. Franzosa von der Harvard School of Public Health in Boston heraus, dass jeder Mensch einen mikrobiellen Fingerabdruck besitzt.
Dies betrifft nicht nur das Darm-Mikrobiom, sondern alle Mikroorganismen, welche den menschlichen Körper besiedeln. Die Daten aus dem Darm sind jedoch am aufschlussreichsten bei dieser Untersuchung, da sich diese als am stabilsten erwiesen. Auch ein Jahr später konnten Menschen zu 80 Prozent nur anhand ihres Darm-Mikrobioms identifiziert werden.
Für diese Untersuchungen haben die Forschenden Konzepte aus der mikrobiellen Ökologie und der Informatik miteinander kombiniert. Als Erkenntnis dieser Untersuchung formulierten die Wissenschaftler vor einigen Jahren, dass es möglich sein könnte, die medizinischen Therapien mit diesem Wissen viel individueller zu gestalten und nicht nur an die genetischen Eigenschaften anzupassen, sondern auch an die individuellen mikrobiellen Unterschiede.
Früherkennung von Pankreaskrebs
Eine neue Studie zeigt nun, wie dieses Wissen in der Medizin angewandt werden kann. Die Forschenden rund um Dr. Ece Kartal vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg haben herausgefunden, dass eine bestimmte Veränderung des Darm-Mikrobioms Hinweise auf ein Pankreaskarzinom, eine Krebserkrankung der Bauchspeicheldrüse, geben.
Bisher gibt es keine Methode, ein Pankreaskarzinom frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Wenn es entdeckt wird, ist es meist zu spät. Die Arbeitsgruppe konnte nachweisen, dass die Bauchspeicheldrüse ein ähnliches Mikrobiom wie die Mundhöhle und der Darm besitzt.
Durch die Untersuchung von Speichel- und Stuhlproben an Patienten im frühen wie auch späteren Stadium konnten sie ein deutliches, mikrobielles Risikoprofil für Pankreaskrebs identifizieren. Dieses spezifische mikrobielle Profil fand sich bei allen Probanden. Mit diesen Ergebnissen sehen die Forschenden einen Ansatz für das frühzeitige Erkennen dieser Krebserkrankungen. Durch die Daten zu den verursachenden Mikroben sehen sie zudem die Möglichkeiten einer Prävention.
Heike Lachnit
Quellen:
- Shao YV et al.; Stunted microbiota and opportunistic pathogen colonization in caesarean-section birth; Nature, 2019; DOI: 10.1038/s41586-019-1560-1
- Eric A. Franzosa et al.; Identifiying personal microbioms using metagenomic codes; PNAS, 2015; doi: 10.1073/pnas.1423854112
- Ece Kartal et al.; A faecal microbiota signature with high specificity for pancreatic cancer; GUT, 2022; DOI: 10.1136/gutjnl-2021-324755