Ethambutol verhindert, dass die Erreger ihre Zellwände vollständig bilden können, soviel war bekannt. Das Mittel wirkt bakteriostatisch, tötet die Zellen aber nicht ab. Mycobacterium tuberculosis, so der Name des gefährlichen Keims, gehört zu einer Gruppe von Bakterien, von denen viele Spezies harmlos, eine Reihe aber gefährliche Erreger etwa der Lepra oder der Diphtherie sind.
Ihnen allen ist eines gemeinsam: der vergleichsweise komplizierte Aufbau der Zellwand. Um die bei den meisten Bakterien übliche Schicht aus Peptidoglykan, einem Netz aus speziellen Zuckern und Aminosäuren, liegt ein komplexes Geflecht von Zuckern wie Galaktose und Arabinose, das sogenannte Arabinogalaktan. Damit verbunden ist wiederum eine dichte Lipidschicht, die die gesamte Bakterienhülle widerstandsfähig macht.
Maschinerie zur Wandsynthese
Die stäbchenförmigen Mykobakterien wachsen von den Enden, den Zellpolen, her. Und von dort aus, so konnten die LMU-Wissenschaftler mit ihren Experimenten an harmlosen Verwandten des Tuberkulose-Erregers zeigen, überzieht eine komplexe Synthesemaschinerie die Bakterienzelle im Normalfall mit den beiden äußeren Hüllen.
Genau diesen Prozess unterbindet Ethambutol: Es sorgt dafür, dass sich die Arabinose-Moleküle nicht zu größeren Einheiten zusammenfügen können, den Bakterien fehlt eine intakte Arabinogalaktan-Schicht und damit auch der äußere Lipid-Mantel.
Die Bakterien aber haben noch eine zweite Maschinerie zur Wandsynthese; sie wird in der Mitte der Stäbchen aktiv, wenn sich dort die Mutterzelle teilt. Diese Maschinerie aber, so zeigten Bramkamp und sein Team, baut nur den inneren Peptidoglykan-Mantel. Ihr kann Ethambutol nichts anhaben, dafür aber beta-Lactam-Antibiotika, zu denen auch die Penicilline gehören.
Schlafstadium der Zellen
Morphologisch allerdings zeigt die Ethambutol-Behandlung eine frappierende Wirkung: Aus den ehemals langgezogenen Stäbchen werden im Verlauf der Zellteilungszyklen immer kugelförmigere Bakterien. Schon dieses Phänomen ist für Bramkamp ein besonders starkes Argument dafür, die Wirkungsweise gängiger Mittel genauestens zu untersuchen: Es zeigt, dass die Zellen in die sogenannte stationäre Phase übergehen, eine Art Schlafstadium, das sie unangreifbar macht für Antibiotika, die sich ja gegen wachsende Zellen richten.
„Mit Ethambutol allein würde man die Erreger also in einen Zustand bringen, in dem man sie gewiss nicht haben möchte“, mahnt Bramkamp. Allerdings ergänzen und verstärken Antibiotika, die in die Peptidoglykansynthese eingreifen, Ethambutol in seiner Wirkung. Der Zellteilungsapparat, so hofft der LMU-Forscher aufgrund der neuen Erkenntnisse, bietet sich daher als ein weiteres Angriffsziel für neue Antibiotika an.