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Darmmikrobiom.

Über 60% der untersuchten Spezies zeigten eine parallele Stammesgeschichte zu ihrem menschlichen Wirt. © Christoph Burgstedt / iStock / Getty Images Plus

Evolutionsgeschichte: Darmmikroben und ihre menschlichen Wirte

Das menschliche Darmmikrobiom umfasst Tausende verschiedener Bakterien und Archaeen, die sich zwischen Populationen und Individuen stark unterscheiden. Jetzt entdeckten Forschende des Max-Planck-Instituts für Biologie in Tübingen die gemeinsame Evolutionsgeschichte von Darmmikroben und ihren menschlichen Wirten: Die Mikroorganismen haben sich über Hunderttausende Jahre lang im menschlichen Darm parallel zum Menschen entwickelt. Darüber hinaus weisen einige Mikroben Merkmale in Funktionen und Erbgut auf, die sie abhängig von der menschlichen Darmumgebung machen. In Science stellt das Forschungsteam nun die Ergebnisse seiner Studie mit Daten von 1225 Personen aus Afrika, Asien und Europa vor.

Das Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Biologie in Tübingen stellte die Vermutung auf, dass bestimmte Arten und Stämme den Menschen bei der Ausbreitung über die Erde begleitet und sich in seinem Darm parallel mitentwickelt haben. Dazu verglichen die Forschenden des MPI für Biologie, des Instituts für Tropenmedizin und des Exzellenzclusters CMFI der Universität Tübingen erstmals systematisch die Evolutionsgeschichten von Menschen und Darmmikroben. Die Forschenden erstellten dazu Stammbäume für 1225 menschliche Versuchspersonen sowie für 59 Mikroben-Arten aus deren Darm. Mithilfe von statistischen Tests analysierten sie, wie gut diese Stammbäume übereinstimmten.

Über 60% der untersuchten Spezies zeigten eine parallele Stammesgeschichte zu ihrem menschlichen Wirt. Dies weist darauf hin, dass sich diese Mikroben über Hunderttausende Jahre hinweg im menschlichen Darm weiterentwickelten, während die Menschen sich von Afrika aus über die Kontinente ausbreiteten. “Wir wussten bisher nicht, dass unsere Darmmikroben unserer Evolutionsgeschichte so genau gefolgt sind“, staunt Ruth Ley, die Leiterin der Abteilung für Mikrobiomforschung am Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen, wo die Studie durchgeführt wurde, sowie stellvertretende Sprecherin des CMFI ist.

Darmmikroben abhängig vom Menschen

„Bemerkenswert ist auch, dass diejenigen Stämme, die unserer Entwicklungsgeschichte am engsten gefolgt sind, nun am meisten von der Darmumgebung abhängig sind“, fügt Ley hinzu. Tatsächlich sind einige der Mikroben-Stämme, die sich zusammen mit dem Menschen entwickelt haben, stark von der menschlichen Darmumgebung abhängig: Sie besitzen kleinere Genome und reagieren empfindlicher auf Abweichungen in Sauerstoffgehalt und Temperatur – Merkmale, die ein Überleben außerhalb des menschlichen Körpers erschweren. Im Gegensatz dazu wiesen Mikroorganismen, die eine schwächere Verbindung mit der menschlichen Geschichte aufwiesen, mehr Eigenschaften von freilebenden Bakterien auf.

„Einige der Darmmikroben verhalten sich, als seien sie Teil des menschlichen Erbguts“, erklärt Taichi Suzuki, der zusammen mit seinem Kollegen Liam Fitzstevens Erstautor der Studie ist. Suzuki ergänzt: „Diese Mikroben befinden sich sozusagen irgendwo im Spektrum von ‚freilebend‘ bis hin zu abhängig von der menschlichen Körperumgebung. Wir konnten zeigen, dass einige Darmbakterien des Menschen in diesem Spektrum weiter in Richtung irreversibler Abhängigkeit gekommen sind als bisher angenommen.“ Ley fügt weiter hinzu: „Diese Ergebnisse verändern unsere Sichtweise auf das menschliche Darmmikrobiom grundlegend.“

Angepasste Mikrobiom-Therapien

Um Daten einer breitgefächerten Stichprobe unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen weltweit zu erhalten, analysierte das Forschungsteam die Darmmikroben und Genome von 1225 Personen in Europa, Asien und Afrika. Die Stuhl- und Speichelproben wurden mit Hilfe von Forschenden des Instituts für Tropenmedizin der Universität Tübingen und deren Partnerorganisationen in Vietnam und Gabun gesammelt. Darüber hinaus unterstützten Forschende auf der ganzen Welt die Studie mit vergleichbaren Datensätze von Teilnehmenden aus Kamerun, Südkorea und dem Vereinigten Königreich.
Die Ergebnisse der Studie tragen zum besseren Verständnis von Mikroben bei, die seit langem zu bestimmten Bevölkerungsgruppen gehören. Mikrobiom-Krankheitstherapien können mit diesem Wissen besser auf die jeweilige lokale Bevölkerung angepasst und verfeinert werden.

Quelle: Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen


Originalpublikation: Taichi A. Suzuki et al.; Codiversification of gut microbiota with humans; Science Vol. 377, Issue 6612, 2022), DOI: 10.1126/science.abm7759

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