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Gehirn und DNA.

Genetische Karten der Entwicklung von Zellen im Kleinhirn geben Aufschluss über Merkmale der Kleinhirnentwicklung. © kirstypargeter / iStock / Getty Images Plus

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Forschung: Die Rolle des Kleinhirns in der menschlichen Evolution

Forschende aus Heidelberg enthüllen genetische Programme, die die Entwicklung der zellulären Vielfalt im Cerebellum von Menschen und anderen Säugetieren steuern.

Die Evolution höherer kognitiver Funktionen beim Menschen wurde bislang hauptsächlich mit der Ausdehnung des Neokortex in Verbindung gebracht – einer Hirnregion, die unter anderem für bewusstes Denken, Bewegung und Sinneswahrnehmung zuständig ist.

In der Forschung wird jedoch zunehmend deutlich, dass sich das „Kleine Gehirn“ oder Cerebellum während der Evolution ebenfalls ausdehnte und wahrscheinlich zu den einzigartigen menschlichen Fähigkeiten beiträgt, wie Prof. Dr. Henrik Kaessmann vom Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg erläutert.

Sein Forschungsteam hat zusammen mit Prof. Dr. Stefan Pfister vom Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg umfassende genetische Karten der Entwicklung von Zellen im Kleinhirn von Mensch, Maus und Opossum erstellt. Im Vergleich dieser Daten zeigen sich sowohl ursprüngliche als auch artspezifische zelluläre und molekulare Merkmale der Kleinhirnentwicklung in mehr als 160 Millionen Jahren der Säugetierevolution.

Gene und ihre Aktivitätsprofile

Mit bioinformatischen Ansätzen verglichen die Forscher:innen außerdem die Genexpressionsprogramme in Kleinhirnzellen von Mensch, Maus und Opossum. Diese Programme werden durch die fein abgestimmten Aktivitäten einer Vielzahl von Genen definiert, die bestimmen, zu welchen Typen sich Zellen im Laufe der Entwicklung ausdifferenzieren.

Identifiziert wurden dabei Gene mit zelltypspezifischen Aktivitätsprofilen, die seit mindestens etwa 160 Millionen Jahren der Evolution über die Arten hinweg konserviert sind. Das lässt nach den Worten von Henrik Kaessmann darauf schließen, dass sie für grundlegende Mechanismen der Identitätsfindung von Zelltypen im Kleinhirn der Säugetiere wichtig sind.

Gleichzeitig identifizierten die Wissenschaftler:innen mehr als 1000 Gene mit Aktivitätsprofilen, die sich zwischen Mensch, Maus und Opossum unterscheiden. „Auf Ebene der Zelltypen kommt es recht häufig vor, dass Gene neue Aktivitätsprofile erhalten. Das bedeutet, dass ursprüngliche Gene, die in allen Säugetieren zu finden sind, im Laufe der Evolution in neuen Zelltypen aktiv werden, womit sich potentiell auch die Eigenschaften dieser Zellen verändern können“, so Dr. Kevin Leiss, zum Zeitpunkt der Arbeiten Doktorand in der Forschungsgruppe von Prof. Kaessmann.

Auf der Suche nach Modellsystemen

Unter den Genen, die beim Menschen andere Aktivitätsprofile als bei der Maus – dem am häufigsten verwendeten Modellorganismus in der biomedizinischen Forschung – aufweisen, werden mehrere mit neurologischen Entwicklungsstörungen oder Hirntumoren im Kindesalter in Verbindung gebracht, wie Prof. Pfister erläutert.

Der Wissenschaftler ist Direktor am Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg, leitet eine Forschungsabteilung am Deutschen Krebsforschungszentrum und ist als Kinderonkologe am Universitätsklinikum Heidelberg tätig. Die Ergebnisse der Untersuchungen könnten, so Prof. Pfister, wertvolle Orientierungshilfen geben, um über das Mausmodell hinaus nach geeigneten Modellsystemen für die weitere Erforschung solcher Krankheiten zu suchen.

Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich veröffentlicht. Neben den Heidelberger Wissenschaftlern waren an den Arbeiten Forscher:innen aus Berlin sowie aus China, Frankreich, Großbritannien und Ungarn beteiligt. Der Europäische Forschungsrat hat die Arbeiten finanziert. Die Forschungsdaten sind in einer öffentlichen Datenbank verfügbar.

Quelle: Universität Heidelberg


Originalpublikation: H. Kaessmann et al.; Cellular development and evolution of the mammalian cerebellum; Nature, 2023; DOI: 10.1038/s41586-023-06884-x

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