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Symbolbild neurodegenerative Erkrankungen

Forschende wollen krankheitsübergreifende Mechanismen neurodegenerativer Erkrankungen beleuchten. © Ildar Abulkhanov / iStock / Getty Images Plus

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Neurodegenerative Erkrankungen: Gemeinsame Mechanismen und differenzierte Therapieansätze

Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson teilen einige gemeinsame pathologische Merkmale, darunter die Aggregation fehlgefalteter Proteine, oxidativen Stress und die Aktivierung des Immunsystems im Gehirn. Trotz dieser Gemeinsamkeiten gibt es krankheitsspezifische Unterschiede und Feinheiten, die spezifische Therapieansätze erfordern. Forschungen zur Behandlung dieser Erkrankungen konzentrieren sich auf die Modulation von Entzündungsprozessen und die Identifizierung molekularer Mechanismen, die lange vor dem Auftreten klinischer Symptome beginnen.

Zu den grundlegenden histopathologischen Kennzeichen verschiedener neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson gehört die pathologische Aggregation bestimmter Eiweiße im Hirngewebe (wie β-Amyloid, Tau-Fibrillen, α-Synuclein, Lewy-Körperchen). Bei vielen Betroffenen finden sich Genmutationen, die das Risiko für die jeweilige Erkrankung erhöhen und Hinweise auf die involvierten pathologischen Prozesse geben1,2.

Neben der Akkumulation fehlgefalteter Proteinaggregate zählen oxidativer Stress, mitochondriale Dysfunktion/Defizite bzw. Erschöpfung des Zellmetabolismus und Exzitotoxizität zu den weiteren wichtigen gemeinsamen Mechanismen der Neurodegeneration.

Eine Aktivierung immunologischer Prozesse stellt eine entscheidende Gemeinsamkeit neurodegenerativer Erkrankungen dar. Pathologisch aggregierte Eiweiße aktivieren das angeborene Immunsystem, insbesondere die Mikrogliazellen im Gehirn3.

Auch wenn diese Aktivierung zu Beginn einen protektiven Einfluss haben kann, schädigt sie durch chronisch-persistierende Entzündungsmechanismen die umliegenden Nervenzellen und trägt zu deren Dysfunktion und letztlich auch zum Zelltod bei.

Klinische Studien starten

Aus der Erforschung solcher Mechanismen ergeben sich direkte therapeutische Überlegungen, hier mit Entzündungsmodulatoren einzugreifen, um neurodegenerative Prozesse zu verzögern oder gänzlich aufzuhalten. Verschiedene sich in der Prüfung befindliche Pharmaka versuchen, membranständige oder zytosolische Immunrezeptoren, wie Trem2, TAM-R oder das NLRP3-Inflammasom, zu modulieren.

Diese nun anlaufenden klinischen Studien beruhen auf präklinischen Untersuchungen an Tiermodellen, in denen gezeigt wurde, dass Inflammationsprozesse an der Ausbreitung der Eiweißablagerungen im Gehirn beteiligt sind und beispielsweise zur Ausbreitung der intraneuronalen Bildung von Tau-Fibrillen beitragen4. Inflammatorische Prozesse wie eine anhaltende Inflammasom-Aktivität führen auch zum entzündlichen Zelltod der Mikrogliazellen, die dadurch zu Kristallisationskernen für weitere Proteinaggregation werden5.

„Offensichtlich fußt unser aktuelles Verständnis dieser Erkrankungen auf einer Vielzahl von Querschnittsuntersuchungen. Im Gegensatz hierzu wissen wir jedoch relativ wenig über die longitudinale Dynamik der involvierten pathogenetischen Prozesse, die auf molekularer Ebene viele Jahre und Jahrzehnte vor dem Auftreten klinischer Symptome beginnen“, erklärt Prof. Heneka. Die Charakterisierung dieser klinisch unauffälligen Prodromalphase ist jedoch von wesentlicher Bedeutung, da es wahrscheinlich ist, dass therapeutische Interventionen in dieser Phase am aussichtsreichsten sein dürften.“

Spezifische Unterschiede müssen beachtet werden

Trotz vieler Gemeinsamkeiten neurodegenerativer Erkrankungen wird an sehr differenzierten Behandlungswegen gearbeitet, denn es gibt entscheidende Unterschiede zwischen diesen Erkrankungen. Auch wenn es deutliche Schnittstellen und Überlappungen hinsichtlich der oben genannten Krankheitsmechanismen gibt, sind krankheitsspezifische Interventionen notwendig, um wirkungsvoll zu intervenieren. Um Krankheitsprozesse wirksam beeinflussen zu können, bleibt außerdem herauszufinden, in welcher Sequenz diese eine pathogenetisch bedeutsame Rolle spielen.

„Auch wenn wir ähnliche Mechanismen und somit ähnliche Therapieprinzipien für verschiedene neurodegenerative Erkrankungen gefunden haben, sind spezifische Unterschiede und molekulare Feinheiten zu beachten“, so Prof. Heneka.

„Es wird voraussichtlich nie ein Medikament geben, mit dem alle Arten der Neurodegeneration gleichzeitig behandelt werden können. Es wird eher so sein, dass verschiedene Substanzen mit unterschiedlichen Angriffsorten zu bestimmten Zeiten gleichzeitig eingesetzt werden.“

Quelle: idw – Informationsdienst Wissenschaft


Publikationen:

  • 1 Kunkle BW, Grenier-Boley B, Sims R et al.; Alzheimer Disease Genetics Consortium (ADGC); European Alzheimer’s Disease Initiative (EADI); Cohorts for Heart and Aging Research in Genomic Epidemiology Consortium (CHARGE); Genetic and Environmental Risk in AD/Defining Genetic, Polygenic and Environmental Risk for Alzheimer’s Disease Consortium (GERAD/PERADES). Genetic meta-analysis of diagnosed Alzheimer’s disease identifies new risk loci and implicates Aβ, tau, immunity and lipid processing. Nat Genet 2019; 51 (3): 414-430
  • 2 Kosoy R, Fullard JF, Zeng B et al. Genetics of the human microglia regulome refines Alzheimer’s disease risk loci. Nat Genet 2022; 54 (8): 1145-1154
  • 3 Heneka MT, Kummer MP, Latz E. Innate immune activation in neurodegenerative disease. Nat Rev Immunol 2014;14 (7): 463-77
  • 4 Ising C, Venegas C, Zhang S et al. NLRP3 inflammasome activation drives tau pathology. Nature 2019; 575 (7784): 669-673
  • 5 Venegas C, Kumar S, Franklin BS et al. Microglia-derived ASC specks cross-seed amyloid-β in Alzheimer’s disease. Nature 2017 552 (7685): 355-361

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