Herz-Kreislauferkrankungen gehören zu den größten Gesundheitsproblemen der Welt. Bei Depression sind Herz-Kreislauferkrankungen die häufigste Todesursache nach Suizid. Nach einer internationalen epidemiologischen Studie schätzte man allein im Jahr 2010, dass weltweit vier Millionen verlorene Lebensjahre auf das Konto einer vorbestehenden Depression gingen.
Der Frage, weshalb Menschen mit Depression besonders gefährdet sind, gehen MHH-Forscher seit mehreren Jahren nach: „Durch Depressionen kommt es zu einer Reihe endokriner und immunologischer Umstellungen im Körper, die langfristig zu einer Zunahme des Herzfettgewebes führen. Ein großes Herzfettgewebe ist ein bekannter Risikofaktor für die Entwicklung einer koronaren Arteriosklerose, also der Verkalkung der Herzkranzgefäße“, sagt Professor Dr. Kai Kahl von der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
Die Ablagerungen verengen die Gefäße und können zu Infarkten führen. Hinzu kommt, dass Menschen mit Depressionen häufig unter Antriebslosigkeit leiden und sich tendenziell eher wenig bewegen – ein Faktor, der ebenfalls das Herz-Kreislauf-System belastet. Mit diesem Themenkomplex befasste sich der Psychiater gemeinsam mit Kollegen des Instituts für Sportmedizin, der Klinik für Kardiologie und Angiologie und des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie.
„Wir wollten uns die Herzgesundheit depressiver Patienten genauer ansehen und herausfinden, ob man durch bestimmte sportliche Maßnahmen etwas daran verbessern kann“, beschreibt Professor Kahl die Ziele der Untersuchung.
Durchschnittlich 1,5 Mal mehr Herzfett
An der zweiteiligen Studie nahmen 42 Patientinnen und Patienten teil, die wegen Depressionen stationär in der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie behandelt wurden. Die Teilnehmer waren zwischen 40 und 45 Jahren alt und wurden mit einer jeweils individuellen Psychotherapie sowie mit einer differenzierten Psychopharmakotherapie behandelt.
Die eine Hälfte der Gruppe nahm zusätzlich an einer strukturierten Sporttherapie teil, die das Institut für Sportmedizin speziell für depressive Patienten entwickelt hatte. Das Sportprogramm bestand aus einem sechswöchigen Gerätetraining mit drei 45-minütigen Einheiten pro Woche. Trainiert wurden Kraft und Ausdauer. Die Intensität des Trainings wurde, entsprechend der Herz-Kreislaufwerte und der Selbsteinschätzung der Patienten, langsam gesteigert. Sporttrainer standen den Probanden zur Seite.
Zu Beginn der Studie stellten die Wissenschaftler fest, dass depressive Menschen durchschnittlich 1,5 Mal mehr Herzfett haben als gesunde Menschen. „Die Größe des Unterschieds hat uns sehr überrascht“, sagt Professor Kahl. Nach der sechswöchigen Sporttherapie hatten die Teilnehmer etwa zehn Prozent ihres Herzfetts verloren.
Weitere erfreuliche Effekte der Sporttherapie waren eine Verringerung des ebenfalls gefährlichen, bei depressiven Patienten überdurchschnittlich vorhandenen Bauchfetts, eine Verbesserung der HDL-Cholesterinwerte und eine verbesserte maximale Sauerstoffsättigung des Blutes. Ganz nebenbei wirkt sich die körperliche Betätigung auch positiv auf die Psyche aus.
Veränderter Lebensstil, verbesserte gesundheitliche Situation
„Die Studie zeigt, dass ein strukturiertes intensives Training ein guter Weg ist, um das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Herzinfarkt zu senken“, erklärt der Psychiater. „Eine langfristige Veränderung des Lebensstils hin zu gezielter Bewegung kann die gesundheitliche Situation depressiver Patienten deutlich verbessern.“
Professor Kahl freut sich darüber, dass alle Patienten aus der Sportgruppe das Programm beendeten und etwa ein Drittel auch danach freiwillig weitermacht.
„Früher hieß es immer, depressive Patienten sind zum Sport kaum zu motivieren. Doch es kann klappen, wenn sie intensiv betreut werden und das Programm optimal auf sie zugeschnitten ist. Die Sporttherapie sollte bei der Behandlung depressiver Patienten grundsätzlich als dritte Säule zur psychotherapeutischen und medikamentösen Therapie hinzukommen“, fordert Professor Kahl. Er hofft, dass dieser Teil demnächst in die medizinischen Leitlinien für die Therapie von Depressionen aufgenommen wird.
Quelle: Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH)