Jeder Mensch trifft ständig Entscheidungen. Dafür braucht es zahlreiche Informationen, die von unseren Sinnen geliefert werden. Sie nehmen einzelne Aspekte unserer Umwelt wahr, etwa visuelle und akustische Informationen, die unser Gehirn anschließend in eine ganzheitliche Wahrnehmung integriert. Dies wird als multisensorische – oder multimodale – Wahrnehmung bezeichnet.
Einzelne Zellen unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht vom Menschen. Sie treffen ständig wichtige Entscheidungen, etwa ob sie sich teilen oder nicht. Forschende der Universität Zürich (UZH) haben deshalb das Konzept der kontextuellen, multimodalen Wahrnehmung des Menschen auf einzelne Zellen übertragen. Und sie fanden heraus, dass einzelne Zellen Entscheidungen viel autonomer treffen als bisher angenommen.
„Eine adäquate Entscheidungsfindung einzelner Zellen beruht auf einer multimodalen Wahrnehmung. Sie ermöglicht es den Zellen, Signale von außen wie Wachstumsfaktoren mit Informationen aus dem Zellinneren wie der Anzahl bestimmter Zellorganellen zu integrieren“, sagt Lucas Pelkmans, Professor am Institut für Molekulare Biologie der UZH.
Forschende mussten umfassende Analysen durchführen
In bestimmten Situationen können solche inneren Hinweise die äußeren Reize überlagern: etwa bei Tumoren, wo der aktuelle Zustand bestimmter Zellen die Behandlung mit wachstumshemmenden Medikamenten überlagert und sie so behandlungsresistent macht.
„Solche Resistenzen gegen Medikamente sind ein großes Problem im Kampf gegen den Krebs. Eine mögliche Lösung wäre, die kontextuellen Hinweise, die einzelne Zellen erfahren, zu berücksichtigen und letztlich zu verändern“, sagt Pelkmans.
Um zu testen, ob Zellen so wie Menschen nach multimodaler Wahrnehmung der jeweiligen Situation entscheiden, mussten die Forschenden gleichzeitig die Aktivität mehrerer äußerer Sensoren sowie etliche potenzielle Inputs aus dem Inneren der Zelle – etwa die lokale Umgebung und die Anzahl der Zellorganellen – messen. All dies musste parallel sowohl in einzelnen Zellen als auch in Millionen von Zellen analysiert werden.
„Wir haben dazu die an der UZH entwickelte Methode ‹4i› verwendet. Sie erlaubt es, bis zu 80 verschiedene Proteine und Eiweißmodifikationen in einzelnen Zellen mittels Fluoreszenzmikroskopie gleichzeitig sichtbar zu machen und zu quantifizieren“, sagt Bernhard Kramer, Erstautor der Studie.
Wahrnehmung beeinflusst Entscheidung der Zelle
Die Forschenden fanden heraus, dass in den einzelnen Zellen die unterschiedlichen Aktivitäten einzelner Außensensoren eng mit der Variation interner Signale verbunden ist. So beeinflusst beispielsweise die Anzahl der Mitochondrien – die Kraftwerke der Zellen – grundlegend, wie ein äußerer Reiz von einer Zelle wahrgenommen wird.
Außerdem integriert jeder Sensor unterschiedliche Signale aus dem Zellinneren. Die Wissenschaftler untersuchten anschließend eine wichtige Entscheidung einer einzelnen Zelle: Soll sie sich auf einen Wachstumsreiz hin vermehren oder ruhend bleiben?
Sie stellten fest, dass die Entscheidung der Zelle davon abhängt, was sie von mehreren Sensoren wahrnimmt. Und diese Wahrnehmung kann durch Signale vom inneren Zellzustand vorhersehbar beeinflusst werden.
„Für jede spezifische Entscheidung einer Zelle müssen alle äußeren Signale und internen Hinweise zusammen betrachtet werden. Einzelne Zellen sind also in der Lage, adäquate kontextabhängige Entscheidungen zu treffen – und sind somit deutlich intelligenter als bisher angenommen“, sagt Doktorand Kramer.
Quelle: Universität Zürich (UZH)
Publikation: Bernhard A. Kramer, Jacobo S. Del Castillo, Lucas Pelkmans; Multimodal perception links cellular state to decision making in single cells; Science, 2022; DOI: 10.1126/science.abf4062