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Funktionsstabiles Gerüst für Zahnimplantate entwickelt

Feste und funktionstüchtige Zähne bedeuten Lebensqualität. © Daniel Frank / Unsplash.com

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Knochenschwund: Funktionsstabiles Gerüst für Zahnimplantate entwickelt

Ein festsitzender Zahnersatz kann nur geschaffen werden, wenn noch genügend Kieferknochen als Basis vorhanden ist. An der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) setzen die Ärzte auf eine neue Methode: Sie implantieren ein funktionsstabiles einteiliges Gerüst, in das der Zahnersatz gesetzt wird.

„Mit diesem Verfahren können wir auch Patienten in scheinbar hoffnungslosen Situationen zu einem festen Gebiss verhelfen“, erklärt Professor Dr. Dr. Nils-Claudius Gellrich, Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Die Methode wurde patentiert, sie wird zurzeit nur in der MHH angeboten. „Es gibt unterschiedliche Gründe für den Schwund von Knochenmaterial“, erläutert Professor Gellrich.

„Das können beispielsweise Entzündungen, Tumore, Unfälle oder auch angeborene Defekte sein.“ Wenn jahrelang Zähne fehlen und die Kieferknochen nicht mehr durchs Kauen beansprucht werden, kann das ebenfalls zum Abbau führen.

Um den betroffenen Patienten eine schnelle und sichere Lösung für festsitzenden Zahnersatz bieten zu können, hat Professor Gellrich gemeinsam mit dem Zahnarzt Dr. Björn Rahlf das funktionsstabile einteilige Gerüstimplantat entwickelt. Das feinverzweigte Gerüst aus Titan, das den Patienten über die Mundhöhle implantiert wird, ersetzt den fehlenden Kieferknochen und beinhaltet zugleich auch schon die Implantat Pfosten für die Zähne.

Lösung kann für Ober- und Unterkiefer umgesetzt werden

Das Gerüst wird durch viele kleine Schrauben an verschiedenen Stellen mit dem verbliebenen Knochenmaterial verbunden. „So wird der Druck auf den Knochen gut verteilt“, erläutert Dr. Rahlf. Der Patient bekommt zunächst eine provisorische Prothese. Nach einer Einheilungszeit von etwa sechs Wochen wird die Prothese durch festsitzende Zähne ersetzt.

„Rein funktional könnten die Patienten am selben Tag ein Schnitzel essen“, sagt Professor Gellrich. Die neue patientenspezifische Lösung kann für den Ober- und den Unterkiefer umgesetzt werden. „Das Verfahren eignet sich besonders für ältere und auch für sehr kranke Patienten, die sich nicht dem langwierigen Prozess des Knochenaufbaus mit eigenem Knochenmaterial aus dem Beckenkamm oder der Wade unterziehen wollen“, erklärt Dr. Rahlf, der in seiner Zahnarztpraxis in Rendsburg bereits seit 20 Jahren Zahnimplantationen vornimmt und die Bedürfnisse und Nöte der Patienten kennt.

Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sich Professor Gellrich mit dem Einsatz der computer-assistierten Chirurgie (CAS), die auch bei dem neuen Verfahren eine Rolle spielt. Mithilfe von dreidimensionalen Bildgebungen und Rekonstruktionen am Bildschirm ist es möglich, das Gerüstimplantat patientenspezifisch zu planen.

Herstellung des Gerüsts erfolgt digital

„Wir können vorher schon sehen, wie das Endergebnis einmal aussehen wird“, sagt Professor Gellrich. Der Patient macht mit seinem individuellen Knochenzustand die Vorgaben für das Implantat. Auch die Herstellung des Gerüsts erfolgt digital. Es wird in einem Laserschmelz-Verfahren in 3D-Technik gefertigt. Kooperationspartner der Klinik ist dabei die KLS Martin Group.

Im Jahr 2015 wendete Professor Gellrich das Verfahren erstmals an. Seitdem wurden in der MKG-Klinik insgesamt 21 Patienten erfolgreich mit dem funktionsstabilen einteiligen Gerüstimplantat versorgt. Zu ihnen gehört auch Dr. Richard I. (71) aus der Nähe von Hamburg.

Nachdem der Mediziner schon jahrzehntelang immer wieder unter Schmerzen gelitten hatte, wurde bei ihm Anfang 2011 ein gutartiger Tumor im rechten Oberkiefer diagnostiziert und entfernt. Doch bereits Ende des Jahres trat die Geschwulst an derselben Stelle wieder auf, Dr. I. musste erneut operiert werden.

Ein aufwendiger Prozess

„Offenbar war der Herd auch diesmal nicht vollständig beseitigt, denn fünf Jahre später bekam ich erneut Beschwerden in dem Bereich“, erinnert sich der Patient. Diesmal wandte er sich an die MHH-Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Dort wurde ihm in Oktober 2016 in einer weiteren Operation der halbe Oberkiefer entfernt.

Der entstandene Raum wurde vorübergehend mit Weichteilgewebe gefüllt. Da bei dem Patienten auf der rechten Seite nun überhaupt kein Oberkieferknochen mehr vorhanden war, mussten die Chirurgen in diesem Fall ausnahmsweise doch einen Knochenaufbau durchführen, um wenigstens eine minimale Basis für das Gerüstimplantat zu schaffen.

Nachdem die Knochenstückchen aus dem Beckenkamm eingewachsen waren, konnte im Mai 2018 das Gerüst eingesetzt werden. „Zurzeit habe ich noch einen provisorischen Zahnersatz und gewöhne mich daran, wieder beidseitig zu kauen“, erklärt Dr. I. In den nächsten Wochen soll er dann seine endgültigen Zähne bekommen.

Schnelle Entfernung bei Komplikationen

„Ich bin optimistisch, dass mein Problem dann endgültig gelöst ist“, sagt der Mediziner. Das funktionsstabile Gerüstimplantat hat, außer, dass in den allermeisten Fällen auf einen Knochenaufbau verzichtet werden kann, zwei weitere große Vorteile.

„Zum einen kann jeder erfahrene Zahnarzt in einer niedergelassenen Praxis damit umgehen und die Zähne in die Implantat Pfosten setzen. Und zum anderen können die Zähne und auch das gesamte Gerüst jederzeit wieder entfernt werden, falls es zu erneuten Komplikationen kommt“, erläutert Professor Gellrich.

Der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg setzt das Verfahren seit vielen Jahren auch zur Rekonstruktion der Augenhöhle ein, auf diesem Gebiet gibt es bereits zahlreiche Nachahmer in USA, Australien und Mexiko, die sich ihr Know-how in Hannover geholt haben. „In der Methode steckt der Kerngedanke der individualisierten Medizin, sie wäre durchaus auch auf andere chirurgische Bereiche übertragbar“, ist sich Professor Gellrich sicher.

Quelle: Medizinische Hochschule Hannover (MHH)

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