Es war eine Zeit großer Unsicherheit: Als ab dem Frühjahr 2020 die erste Coronawelle über die Schweiz rollte, gab es weder diagnostische Tests noch eine Impfung noch wirksame Medikamente. In dieser Phase der Verunsicherung griffen in der Schweiz niedergelassene Ärztinnen und Ärzte in der Grundversorgung offenbar vermehrt auf Antibiotika zurück, um Patientinnen und Patienten zu behandeln, obwohl diese Medikamente gegen Viren nichts ausrichten. Zu diesem Schluss kommt ein Forschungsteam um Prof. Dr. Heiner Bucher vom Departement Klinische Forschung der Universität und des Universitätsspitals Basel.
Wie das Team berichtet, verdoppelte sich der Einsatz von Antibiotika von rund acht auf 16 Antibiotikaverschreibungen pro 100 Konsultationen. Während der ersten Sars-CoV-2-Welle zu Jahresbeginn 2020 zeigte sich ein massiver Anstieg der Antibiotikaverschreibungen. Diese hielten sich ab Frühjahr 2020 für das ganze Jahr auf überdurchschnittlich hohem Niveau im Vergleich zu den Vorjahren 2017 bis 2019.
Die Forscher:innen begannen ihre Studie bereits 2017 vor der Pandemie im Rahmen des Nationalfondsprogrammes NRP 72 „Antimikrobielle Resistenz“. Grundlage waren vollständig anonymisierte individuelle Patientendaten von über zwei Millionen Krankenversicherten aller Altersgruppen sowie Abrechnungsdaten von Ärztinnen und Ärzten. Wie sich die Coronapandemie auf die Verschreibungspraxis auswirkte, untersuchten die Forschenden mit Fokus auf 2945 Allgemeinmedizinerinnen und Kinderärzte, die in den Vorjahren bereits eine mittlere bis hohe Rate an Antibiotikaverschreibungen aufwiesen.
Antibiotika-Verschreibungen in der Pandemie stark erhöht
Das Ergebnis: Die massiv erhöhte Verschreibungspraxis zeigte sich für alle Antibiotikaklassen, auch solche, welche primär nicht zur Behandlung von Atemwegsinfekten vorgesehen sind. „Das ist besonders besorgniserregend, da übermäßiger und falscher Antibiotikagebrauch das Risiko erhöht, dass Bakterien gegen den verwendeten Wirkstoff resistent werden“, sagt Heiner Bucher. Multiresistente Bakterien führen zu Infektionen, die sich kaum mehr behandeln lassen.
Das Ergebnis: Die massiv erhöhte Verschreibungspraxis zeigte sich für alle Antibiotikaklassen, auch solche, welche primär nicht zur Behandlung von Atemwegsinfekten vorgesehen sind. „Das ist besonders besorgniserregend, da übermäßiger und falscher Antibiotikagebrauch das Risiko erhöht, dass Bakterien gegen den verwendeten Wirkstoff resistent werden“, sagt Heiner Bucher. Multiresistente Bakterien führen zu Infektionen, die sich kaum mehr behandeln lassen.
Die Ärztinnen und Ärzte in der Studie fanden sich im ersten Pandemiejahr vor allem mit besonders verletzlichen Patientengruppen konfrontiert: Während sich insgesamt die Zahl der Konsultationen im ersten Pandemiejahr gegenüber den Vorjahren halbierte, nahm die Anzahl der Konsultationen bei Patientinnen und Patienten mit teils schweren Vorerkrankungen auf das Doppelte zu.
Forschende fordern Maßnahmen gegen Antibiotika-Missbrauch
„In der Vorbereitung auf künftige Pandemien müssen wir den zu erwartenden massiven Antibiotikagebrauch mit geeigneten Maßnahmen wie gezielten Informationsstrategien einschränken, um unnötige Verschreibungen und das Risiko von Resistenzen zu reduzieren“, betont Heiner Bucher.
Das Forschungsteam will nun untersuchen, ob sich die Verschreibungspraxis in den Folgejahren der Pandemie erneut verändert hat. Außerdem möchte es in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Zentrum für Antibiotikaresistenzen herausfinden, wie sich die Resistenzbildung infolge des erhöhten Antibiotikagebrauchs entwickelt.
Quelle: Universität Basel
Originalpublikation: Heiner C. Bucher et al.; Impact of the COVID-19 pandemic on antibiotic prescribing in high-prescribing primary care physicians in Switzerland; Clinical Microbiology and Infection, 2023; doi: 10.1016/j.cmi.2023.11.010