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Mehr Lebensqualität für Gehörlose

Seit einigen Jahren können gehörlose Menschen, dank sogenannter Cochlea-Implantate in einem erstaunlichen Maße wieder hören. © Viktoriya Kuzmenkova / iStock / Getty Images Plus

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Verbesserte Cochlea-Implantate: Mehr Lebensqualität für Gehörlose

Dank eines Cochlea-Implantats können eigentlich gehörlose Menschen in einem erstaunlich hohen Maß wieder hören. Um die Implantate zu optimieren, haben Forschende der Technischen Universität München (TUM) ein Computermodell entwickelt, mit dem sich die vom Implantat erzeugten neuronalen Erregungsmuster im Hörnerv vorhersagen lassen. Als Grundlage diente eine hochaufgelöste Darstellung des menschlichen Innenohres.

Normalhörende Menschen nehmen Schall über die Haarsinneszellen auf, die sich in der Hörschnecke,  dem mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraum des Innenohrs (lateinisch Cochlea), befinden. Die Haarsinneszellen setzen Schallschwingungen in Nervenimpulse des Hörnervs um, welche zum Gehirn weitergeleitet werden und dort Hörempfindungen hervorrufen.

Seit einigen Jahrzehnten können gehörlose Menschen, bei denen diese Hörsinneszellen beschädigt sind, dank sogenannter Cochlea-Implantate in einem erstaunlichen Maße wieder hören. Die Geräte nehmen über ein externes Mikrofon die Schallinformation aus der Luft auf und leiten sie zu im Innenohr implantierten Elektroden.

Mit Stromimpulsen reizen sie dort unmittelbar die Hörnerven und lösen so bei der Patientin oder dem Patienten wieder einen Höreindruck aus. Durch die spezielle Konstruktion des Innenohres sind die Hörsinneszellen an verschiedenen Stellen der Hörschnecke für verschiedene Frequenzen empfindlich.

Computer-Modell entwickelt

Die Impulse, welche über die angedockten Nerven weitergeleitet werden, nehmen wir als Töne der entsprechenden Höhe wahr. Auch die Elektroden eines Cochlea-Implantats sind an verschiedenen Stellen entlang der Hörschnecke positioniert. Trifft Schall einer bestimmten Frequenz auf das Mikrofon des Implantats, sendet eine spezifische Elektrode elektrische Signale aus.

Eine Elektrode erregt aber nicht nur die Nervenfasern in ihrer unmittelbaren Nähe, sondern wegen der breiten Stromausbreitung im mit Salzwasser gefüllten Innenohr auch welche in weiter entfernten Bereichen der Hörschnecke. Dies führt dazu, dass Cochlea-Implantat-Nutzer Signale von Elektroden, die sich zu nah nebeneinander befinden, nicht unterscheiden können.

Dieser Effekt beschränkt die Anzahl der Elektroden beim Bau der Implantate. Um zu verstehen, wie die Elektrodenkontakte am günstigsten platziert werden können, muss man wissen, wie die Signale der einzelnen Elektroden die Nerven erregen.

Diesem Ziel sind nun Forschende der Arbeitsgruppe von Werner Hemmert, Professor für Bioanaloge Informationsverarbeitung an der TUM ein großes Stück nähergekommen. Sie haben ein komplexes Computer-Modell entwickelt, mit dem sich die Ausbreitung der elektrischen Signale im Innenohr präzise berechnen lässt.

Verlauf einzelner Nervenfasern rekonstruiert

Als Grundlage haben sie zusammen mit Kolleginnen und Kollegen am Klinikum rechts der Isar der TUM mit Hilfe eines Computertomografen zunächst eine hochaufgelöste dreidimensionale Abbildung des Knochens erzeugt, der die Hörschnecke beinhaltet. „In der Darstellung waren auch die feinen Poren sichtbar, durch die die Faserbündel des Hörnervs verlaufen“, erklärt Siwei Bai, Postdoc in Hemmerts Forschungsgruppe und Erstautor der Studie.

Mithilfe eines in der Arbeitsgruppe entwickelten Algorithmus konnte anhand der dreidimensionalen Mikrostruktur dieser Poren der Verlauf einzelner Nervenfasern rekonstruiert werden – von der Hörschnecke durch den Knochen bis in den Hirnstamm.

„Wir waren überrascht, wie ungleichmäßig die Nervenfasern auf die elektrischen Signale des Implantats reagieren: manche sind sehr empfindlich und werden von fast allen Elektroden leicht erregt. Andere sind unempfindlicher und werden hauptsächlich von den ihnen am nächsten liegenden Elektroden stimuliert“, erläutert Hemmert. „Das liegt an feinen anatomischen Unterschieden und dem genauen Verlauf der Hörnervenfasern.“

Entwicklung neuer Implantate voranbringen

Man kann also nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass eine Elektrode näher gelegene Nerven stärker erregt als weiter entfernte. Bisher hatten Forschende radialsymmetrische Modelle verwendet, welche eine mit dem Abstand zur Elektrode gleichmäßig abfallende Empfindlichkeit der Hörnervenfasern vorhergesagt hatten.

Die neuen Erkenntnisse zeigen aber, wie wichtig es ist, von einer präzisen Darstellung des doch unregelmäßigen Knochens und Hörnervs auszugehen. In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden in ihrem Modell auch die genaue Struktur der einzelnen Nervenfasern berücksichtigen. Dann werden sie zusätzlich bestimmen können, unter welchen Voraussetzungen und wo genau die elektrischen Pulse entlang des Nervs ausgelöst werden und wie sich diese zum Gehirn ausbreiten.

„All diese Ergebnisse werden dann in die Entwicklung von neuen Implantaten einfließen, welche die Qualität der Stimulation, damit das Sprachverstehen und letztlich die Lebensqualität der Betroffenen verbessern wird“, betont Hemmert.

Quelle: Technische Universität München (TUM)

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