Die Bestimmung und Überprüfung von Grenzwerten (Cut-offs) nimmt für Prognose und Therapieentscheidung eine zentrale Rolle ein – so auch in der Herzmedizin. Ausgangspunkt für die kritische Überprüfung der Troponin-Grenzwerte durch ein Team der Innsbrucker Univ.-Klinik für Herzchirurgie (Direktor: Michael Grimm) war nicht zuletzt der Diskurs zwischen ExpertInnen aus Herzchirurgie und Kardiologie über die Bedeutung des Biomarkers Troponin für das 30-Tage- und das 5-Jahres-Überleben.
Der im Blut gemessene Troponin-Wert erlaubt Hinweise auf den Untergang von Herzmuskelzellen, wie er infolge eines Herzinfarkts eintritt. Troponin kann aber auch nach einer Bypass-OP oder anderen invasiven Eingriffen am Herzen massiv erhöht sein. „Auf der Basis bisher geltender Grenzwerte müsste bei jedem zweiten Patienten nach einer Bypass-Operation ein Herzinfarkt diagnostiziert werden – eine Schlussfolgerung, die entscheidenden Einfluss auf die postoperative Prognose und Behandlung hat“, berichtet Can Gollmann-Tepeköylü.
Um die Relevanz des Troponin-Werts für das mit dem Untergang von Herzmuskelzellen zusammenhängende Sterblichkeitsrisiko realistisch beurteilen zu können, haben die Herzchirurgen Can Gollmann-Tepeköylü, Nikolaos Bonaros, Johannes Holfeld und Leo Pölzl die Troponin-Werte (sensitives kardiales Troponin T, hs-cTnT) von 8.292 PatientInnen, die in Innsbruck zwischen 2010 und 2020 einer Bypass-, Aortenklappen- oder einer anderen Herz-OP unterzogen worden waren, retrospektiv analysiert. Alle Daten wurden vom Zentrallabor der Klinik Innsbruck zur Verfügung gestellt.
Grenzwerte liegen höher als gedacht
In der im Fachjournal Journal of the American College of Cardiology veröffentlichten Studie kommt das Innsbrucker Team zum Schluss, dass die postoperativ gemessenen Troponin T-Grenzwerte zur Bestimmung des Sterblichkeitsrisikos höher liegen als in den aktuellen Definitionen vorgeschlagen wird.
„Der von uns neu berechnete Troponin-Wert für das 5-Jahres Überleben liegt um ein Vielfaches höher als der bislang definierte Ausgangswert. Das bedeutet, dass derzeitige Definitionen des postoperativen Herzinfarkts schlichtweg falsch sind“, sagt Erstautor Leo Pölzl. Die derzeitigen Definitionen zeigen keinen Zusammenhang mit dem 30-Tage Überleben, die neu berechneten jedoch schon.
Maßschneidern für Patienten
Diese Ergebnisse lassen weitreichende Auswirkungen auf die Anpassung der Leitlinien erwarten und werden auch in den Diskurs über die Entscheidungsfindung für die Behandlung koronarer Herzerkrankungen einfließen. „In jedem Fall geben die Ergebnisse unserer Analyse nun mehr Sicherheit bei der Bewertung von OP-Ergebnissen“, betont Klinikdirektor Michael Grimm.
Das Team der Innsbrucker Herzchirurgie sieht zudem auch die Notwendigkeit individualisierter Troponin-Grenzwerte. Ziel ist es, angepasste, auf den Patienten und die Patientin zugeschnittene Cut-offs zu definieren, die sich an Kriterien wie der Herzmuskelmasse oder dem Geschlecht orientieren.
Bis zu 80 Prozent des Bypass-Kollektivs sind Männer, Frauen haben oft andere, diffusere Gewebsveränderungen und auch genuine Nachteile, die es bei Bypass-Operationen zu berücksichtigen gilt. Eine Folgestudie nach Genderkriterien ist bereits in Planung.