Die Forscher um Prof. Eric Xu vom Van Andel Research Institute in den USA hatten das Sehpigment Rhodopsin untersucht, das in den Stäbchen der menschlichen Netzhaut vorkommt und für das Hell-Dunkel-Sehen zuständig ist. Es gehört zur großen Klasse der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCR), über die rund jedes dritte Medikament seine Wirkung entfaltet – vom Schmerzmittel bis zum Blutdrucksenker.
Diese Rezeptoren übertragen Signale mit Hilfe der sogenannten Guanosintriphosphat-bindenden Proteine (G-Proteine). In der Übertragung von Signalen wie beispielsweise beim Sehen oder anderen nervlichen Aktivitäten ist das Abschalten eines Signals jedoch ebenso wichtig wie das Anschalten. Proteine einer anderen Familie, die Arrestine, können das Andocken der G-Proteine blockieren und die Signalübertragung damit abschalten. Auf diese Weise dienen Arrestine als wichtige Aus-Schalter in der Zellsteuerung.
Ein wichtiger erster Schritt in Richtung Medikament
Wie die Arrestine jedoch genau an die Rezeptoren ankoppeln, hat bislang noch niemand gesehen. Aus den Daten der Röntgenlaserexperimente haben die Wissenschaftler nun die erste dreidimensionale Aufnahme eines Arrestins gewonnen, das an einen Rezeptor gebunden ist. „Diese Studie ist ein wichtiger erster Schritt“, urteilt Biochemie-Professor Jeffrey Benovic von der Thomas-Jefferson-Universität in Philadelphia, der nicht an der Untersuchung beteiligt war. Die Entschlüsselung der genauen Struktur an der Wechselwirkungsstelle der beiden Biomoleküle könne enorme Auswirkungen auf die Arzneientwicklung haben.
Denn viele der existierenden Medikamente, die über GPCR wirken, blockieren sowohl das Andocken von G-Proteinen als auch von Arrestinen. „Das neue Paradigma in der Medikamentenentwicklung lautet, einen zielgenauen Pfad zu finden, um entweder den Arrestin-Signalweg oder den G-Protein-Signalweg zu aktivieren und so eine bessere Wirkung zu erzielen“, erläutert Forschungsleiter Xu. Die Entschlüsselung der Arrestin-Kopplung an Rhodopsin ist dabei eine Vorlage, nach der sich nun auch die genaue Arrestin-Wirkung bei anderen GPCR untersuchen lassen könnte, wie Xu hofft.
Hintergrund
Für die Studie hatten die Forscher zunächst winzige Kristalle aus verbundenen Rhodopsin-Arrestin-Komplexen gezüchtet. Die atomare Struktur solcher Kristalle lässt sich darüber ermitteln, wie sie Röntgenstrahlung streuen. Diese Röntgenkristallographie ist heute ein Standardverfahren in der Strukturbiologie und in zahlreichen anderen Disziplinen.
„Biomoleküle lassen sich allerdings meist nur sehr widerstrebend in Kristallform zwingen, weil dies ihrer natürlichen Funktion widerspricht“, erläutert Dr. Anton Barty, Forscher am Deutsches Elektronen-Synchrotron (DESY), vom Center for Free-Electron Laser Science. Er hat an der Datenauswertung intensiv mitgearbeitet.
Für die Rhodopsin-Arrestin-Untersuchung mussten die Wissenschaftler sich mit Mikrokristallen zufriedengeben, die lediglich tausendstel Millimeter klein waren. „Solche Mikrokristalle sind normalerweise sehr schwer zu untersuchen, aber mit dem hellen Röntgenlicht der LCLS gelangen von fast 19 000 dieser Mikrokristalle so gute Streubild-Aufnahmen, dass sich aus der Kombination dieser Streubilder die Struktur des Molekülkomplexes berechnen ließ“, berichtet Barty.
Diese Methode der seriellen Femtosekunden-Röntgenkristallographie (SFX) wurde maßgeblich von DESY-Forscher Prof. Henry Chapman und seinem Team entwickelt. „Die neue Arbeit zeigt das enorme Potenzial von Röntgenlasern für die Strukturaufklärung“, sagt Chapman. Der hier untersuchte Molekülkomplex war der bisher schwierigste, der so entschlüsselt wurde, und stellt damit die Schlagkraft der Methode unter Beweis. Mit dem Europäischer Röntgenlaser XFEL bauen DESY und zehn internationale Partner gegenwärtig einen Röntgenlaser der nächsten Generation, der voraussichtlich 2017 den Forschungsbetrieb beginnen soll.
Weitere Informationen
Das internationale Forscherteam unter Beteiligung von DESY-Wissenschaftlern stellt seine Arbeit im britischen Fachjournal „Nature“ vor.
Deutsches Elektronen-Synchrotron, Ein Forschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft