In der wissenschaftlichen Literatur wird die Gesamtproduktion reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) wie etwa Wasserstoffperoxid (H2O2) häufig als Maß zur Abschätzung der Toxizität von Luftschadstoffen herangezogen. Ein Team von Forschenden unter Führung von Dr. Thomas Berkemeier am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz fand nun heraus, dass die Konzentrationen von ROS im Flüssigkeitsfilm des Lungenepithels (epithelial lining fluid, ELF) der menschlichen Atemwege hauptsächlich von der Freisetzung von endogenem H2O2 und der Einatmung von H2O2 aus der umgebenden Gasphase abhängig sind, während die chemische Produktion von H2O2 durch eingeatmeten Feinstaub eine geringere Bedeutung hat.
„Aufgrund unserer Modellrechnungen gehen wir davon aus, dass die Gesamtkonzentration dieser reaktiven Spezies in der Lunge ohnehin hoch ist, und nicht unmittelbar mit der Feinstaubbelastung zusammenhängt“, so Thomas Berkemeier, Leiter der Gruppe Chemische Kinetik und Reaktionsmechanismen am MPIC.
Die Gruppe bedient sich eines Computermodells, um die ausschlaggebenden physikalischen, chemischen und biologischen Prozesse zu verstehen und die gesundheitsschädlichen Auswirkungen der verschiedenen Arten von Luftschadstoffen zu quantifizieren.
Studienerkenntnisse deuten auf notwendige Neubewertung hin
„Unser neues Modell simuliert die chemischen Reaktionen, die sich in den Atemwegen abspielen. Wir haben in unserem Computermodell erstmals die Produktion, Diffusion und den Verbrauch von Wasserstoffperoxid in den Zellen und der Blutbahn betrachtet. Es war eine ziemliche Herausforderung diese in biologischen Geweben ablaufenden Prozesse in präzise mathematische Gleichungen zu fassen“, erläutert Thomas Berkemeier.
„Die Erkenntnisse aus dieser Studie deuten darauf hin, dass die derzeitigen Ansätze zur Bewertung der unterschiedlichen Toxizität einzelner Feinstaub-Bestandteile einer kritischen Neubewertung unterzogen werden müssen“, so der Leiter der Abteilung Multiphasenchemie am MPIC, Prof. Dr. Ulrich Pöschl. Zu überdenken sei, ob die chemische Produktion von Superoxid und H2O2 in zellfreien Untersuchungsverfahren weiterhin eine gute Vergleichsgröße für die Bewertung gesundheitsschädlicher Bestandteile des Feinstaubs bleiben sollte.
Wie die Studie zeigt, könnten manche Methoden zur Bestimmung des Oxidationspotenzials von Feinstaub deren Schadwirkung möglicherweise nicht korrekt erfassen.
Umwandlung von Peroxiden in OH-Radikale
Die Produktion von Hydroxyl-Radikalen (OH) hingegen war in den Modellrechnungen stark mit der Fenton-Chemie von Feinstaub korreliert.
„Die Modellsimulationen deuten darauf hin, dass Feinstaub überwiegend durch Umwandlung von Peroxiden in hoch reaktive OH-Radikale wirkt. Das heißt, Feinstaub ist weniger der Treibstoff, sondern vielmehr der Katalysator der chemischen Reaktionen, die die Zellen und Gewebe schädigen“, beschreibt Thomas Berkemeier die Rolle der eingeatmeten Partikel im Modell. Außerdem könne Feinstaub die Produktion von Superoxid aus endogenen Quellen stimulieren, was zusätzlich zur gesundheitsschädlichen Wirkung von Luftverschmutzung beiträgt.
Die Studie unterstreiche die Wichtigkeit weiterer Forschung, um die chemischen Mechanismen besser zu verstehen, die den gesundheitsschädlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung zugrunde liegen, so die Autoren der Studie.
Quelle: Max-Planck-Institut für Chemie