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Was bringt die Zukunft?

Zehn Prozent der Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden bereits heute für die Diabetesbehandlung aufgewandt. © MarkBrazier / iStock / Thinkstock

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Diabetesversorgung: Was bringt die Zukunft?

Auf der Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) im März diskutierten Experten die Folgen der Sparmaßnahmen in der Diabetesbehandlung. Der ökonomische Wettbewerb und das Streben nach Gewinnoptimierung in den deutschen Krankenhäusern wirken sich auf das Gesundheitssystem aus. Welche Lösungen gibt es?

Portrait Dr. Erhard Siegel © DDG / Katrin BindeballeDr. Erhard Siegel, Past Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft © DDG / Katrin Bindeballe

Derzeit betreuen rund 60 000 Hausärzte circa 80 Prozent der Diabetiker. Zudem gibt es ungefähr 1100 Schwerpunktpraxen mit Diabetologen für die ambulante Betreuung. Die stationäre Versorgung erfolgt in 165 zertifizierten Einrichtungen in Krankenhäusern.

Rund 500 000 Menschen in Deutschland erhalten jährlich zum ersten Mal die Diagnose „Diabetes mellitus Typ 2". Zehn Prozent der Ausgaben in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden bereits heute für die Diabetesbehandlung aufgewandt.

So warnt die DDG unter anderem aufgrund der demographischen Entwicklung vor künftigen Engpässen bei der qualifizierten Versorgung. „Durch den Wettbewerb in Kliniken stehen viele internistische, diabetologische und endokrinologische Abteilungen auf dem wirtschaftlichen Prüfstand und werden aus finanziellen Gründen geschlossen", erklärte Dr. Erhard Siegel, Past Präsident der DDG.

„Die Diabetologie ist ein Fach, das vom Sprechen mit den Patienten lebt. Wir brauchen kompetente Diabetologen, die multidisziplinär denken und handeln. Die Komplexität der Diabetes-Behandlung muss stationär und ambulant gesichert sein, gerade weil ältere Patienten nicht nur eine, sondern oft mehrere chronische Erkrankungen aufweisen."

Ausbildungsschwerpunkte für Diabetologie

„Nicht nur diabetologische Fachabteilungen in den Kliniken, auch die Lehrstühle für Diabetologie dürfen nicht weiter abgebaut werden. Sie soll als 15. Querschnittsfach im Medizinstudium anerkannt werden", ergänzte der amtierende DDG-Präsident Professor Dr. med. Baptist Gallwitz. Die Diabetologie sei kein rein ambulantes Fach, in der Schaffung zertifizierter Diabeteszentren liege die Zukunft.

Kleine Kliniken können die Multimorbidität und Komplexität nicht ausreichend berücksichtigen. Sie muss somit als selbstständige Einheit an großen Versorgungskrankenhäusern erhalten bleiben. Zudem benötigt der Nachwuchs attraktive und definierte Karrierewege. Nicht nur die akademische, auch die Ausbildung diabetologischer Assistenzberufe muss vorangebracht werden, so Prof. Gallwitz. In diesem Jahr sollen die „Diabetes-Beraterinnen" endlich staatlich anerkannt werden. Ferner bietet die DDG Stipendien für Studenten an, um die Diabetesausbildung voranzubringen.

Ökonomisierung in der Medizin

Portrait Dr. med. Baptist Gallwitz © DDG / Katrin BindeballeDr. med. Baptist Gallwitz, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft © DDG / Katrin Bindeballe

Das deutsche Gesundheitssystem bietet eine hohe Versorgungsqualität. Doch Therapiestrategien im Rahmen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) werden zwar von wissenschaftlichen Fachgesellschaften als „medizinischer Standard" empfohlen, stehen aber häufig nicht zur Verfügung oder sind schlichtweg zu teuer. Ein Beispiel ist der Zusatznutzen von Kombinations-Medikamenten, die bei multimorbiden Diabetespatienten sinnvoll sind.

Zur „frühen Nutzenbewertung" legt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine „zweckmäßige Vergleichstherapie" fest und beauftragt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), ein entsprechendes Nutzenbewertungsgutachten zu erstellen. Obwohl der Zusatznutzen für Diabetiker laut einer Studie belegt war, wurde ein sinnvolles Kombi-Medikament wieder vom Markt genommen, weil der Vergleich mit Patienten, die nur ein einzelnes Medikament einnahmen, fehlte.

„Die DDG unterstützt das Konzept des AMNOG, es gibt jedoch Verbesserungspotenzial", erläuterte Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland, Vizepräsident und Mediensprecher der Gesellschaft. Der G-BA sollte strukturiert die wissenschaftlichen Fachgesellschaften bei der Definierung „medizinischer Standards" miteinbeziehen. Auch die Patientenrelevanz sollte durch stimmberechtigte Einbindung von Betroffenen bei der Bewertung und Entscheidung deutlicher wahrgenommen werden.

Digital-Health-Angebote

In den letzten Jahren entstand eine Vielzahl digitaler Angebote für Diabetiker. Diese mobilen Anwendungen setzen allerdings eine gewisse Kompetenz und den Besitz vorgeschriebener Testgeräte und Smartphones voraus – bei jungen Diabetikern sind diese Apps bereits häufig akzeptiert. Viele Betroffene entwickelten selber Anwendungen und Werkzeuge, um ihren Alltag trotz Erkrankung zu verbessern. Produkte wie „mySugr", „Diabetizer" und „Lumind" bieten viele sinnvolle Funktionen rund ums Blutzucker-Management.

Diabetizer entwickelt telemedizinische Lösungen für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 und 2 wie die App „mydiabetizer", die Blutzucker, Ernährung, Bewegung und Physis (Blutdruck/Puls, Cholesterin, Gewicht etc.) analysiert. Diabetizer arbeitet in Deutschland seit über einem Jahr mit der Gothaer-Versicherung zusammen.

Lumind baut Farbwechsel-Lampen, die anzeigen, wenn der Blutzuckerwert außergewöhnlich fällt oder steigt. So können im heimischen Umfeld nicht nur die Patienten selbst, sondern auch Angehörige oder Freunde mögliche Gefahren erkennen. Und mySugr mit Sitz in den USA und Wien ist mit Logbuch, Scanner und Diabetes-Coach bereits international verbreitet.

Die DDG steht den „elektronischen Hilfsmitteln" positiv gegenüber. Eine neu zu gründende Arbeitsgruppe soll Standards festlegen und prüften, ob Aspekte wie Datenschutz, Interoperabilität, Konnektivität und Evidenz eingehalten werden – und wie solche Angebote in die Gesundheitskarte überführt werden können, wenn sie 2018 solche Funktionen enthalten soll. Wichtig ist den Verantwortlichen, dass es nicht zu einer Zwei-Klassen-Medizin kommt: Digital nicht kompetente Patienten müssen genauso individualisiert behandelt werden wie digital kompetente Menschen.

Mirjam Bauer

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