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Beschichtung verhindert Besiedlung mit Bakterien

Viele tausend Patienten müssen sich einer erneuten aufwendigen Operation unterziehen, weil es Bakterien gelungen ist, sich auf dem Implantat anzusiedeln. © ake 1150sb / iStock / Getty Images Plus

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Keimfreie Implantate: Beschichtung verhindert Besiedlung mit Bakterien

Wie auf einem Nagelbrett werden Bakterien auf einer neu entwickelten Oberfläche mit Nanosäulen beschädigt. Sie soll die Besiedlung von Implantaten verhindern. Vorbild dafür war die Natur.

Rund 350 000 Menschen in Deutschland bekommen jedes Jahr ein neues Gelenk eingesetzt. Knie und Hüftgelenke sind die Klassiker. Meistens geht alles gut, aber in zwei bis fünf Prozent aller Fälle kommt es nach der Operation zu einer Infektion. Oft muss das neue Gelenk wieder entfernt werden, und eine intensive Antibiotikatherapie folgt, bevor dann in einer weiteren Operation ein neues Implantat eingesetzt wird.

Verschanzt hinter einem Biofilm

Viele tausend Patienten müssen sich deswegen einer erneuten aufwendigen Operation unterziehen, weil es Bakterien gelungen ist, sich auf dem Implantat anzusiedeln. „Die Keime werden hauptsächlich im Verlauf der ersten Operation eingeschleppt“, sagt Prof. Dr. Manfred Köller, Leiter der Abteilung Chirurgische Forschung am Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum (RUB) Bergmannsheil. Fremdoberflächen lieben sie besonders, denn hier wirkt das körpereigene Immunsystem weniger gut als anderswo. Haben sich die Keime einmal angeheftet, vermehren sie sich und verschanzen sich hinter einem Biofilm, dem weder Immunzellen noch Antibiotika so leicht etwas anhaben können.

„Wir müssen also schon die Anheftung der Keime an das Implantat verhindern und wollten das nur durch eine Oberflächenmodifikation ohne Antibiotikaeinsatz erreichen“, sagt Manfred Köller. Auf der Suche nach Strategien wurden die Forscherinnen und Forscher der RUB auf Ergebnisse einer australischen Arbeitsgruppe aufmerksam, die 2012 festgestellt hatte, dass eine auf den Flügeln bestimmter Zikaden, zum Beispiel Psaltoda claripennis, vorkommende Struktur antibakterielle Eigenschaften zeigte.

Metall imitiert Insektenflügel

Die Flügel sind über und über mit winzigen Säulen aus wachsartigem Material besetzt, die nur rund 200 Nanometer klein sind und zur Beschädigung der Bakterienzellwand führen. „Bis dahin dachte man, Bakterien könnten in der Natur hauptsächlich über chemische Prozesse eliminiert werden“, erklärt Manfred Köller. „Jetzt zeigte sich, dass sie auch mechanisch zerstört werden können. Das hat uns natürlich sehr interessiert, daher haben wir die Zusammenarbeit mit den Materialforschern der RUB gesucht.“

Die Beschichtung von Oberflächen mit Nanostrukturen ist eine Spezialität des Lehrstuhls Materials Discovery and Interfaces von Prof. Dr. Alfred Ludwig. Hier steht eine sogenannte Sputteranlage, mit der es gelang, die Nanosäulenstruktur der Zikaden fast identisch aus Metall zu generieren. Nadine Ziegler arbeitet hier an ihrer Doktorarbeit. Sie nutzt ein besonderes Sputter-Verfahren namens Glancing Angle Deposition, kurz GLAD. „Dabei werden einzelne Titanatome durch ein Plasma aus einer Scheibe reinen Titans herausgelöst und in Richtung des Trägermaterials beschleunigt. Sie treffen schräg von der Seite auf“, erklärt sie.

Auf dem Träger lagern sich die Atome ab; zuerst entsteht an einigen Stellen ein sogenannter Keim. In dessen Windschatten lagern sich weniger Atome ab. Je größer die Entfernung vom Keim, desto mehr Atome können sich ablagern. So entsteht eine Landschaft charakteristischer Nanosäulen aus Titanatomen. „Wenn man den Träger während der Beschichtung dreht, kann man die Form dieser Säulen beeinflussen“, so Nadine Ziegler.

Plan B für runde Bakterien

Die fertig mit Nanosäulen beschichteten Oberflächen besiedelten die Forscherinnen und Forscher dann mit Escherichia-coli-Bakterien. Tatsächlich konnten sie danach viele mechanisch zerstörte Keime identifizieren. „Davon waren wir natürlich zuerst begeistert“, erzählt Manfred Köller. „Allerdings gibt es in der klinischen Praxis andere Bakterien, die besonders bei Implantat-Infektionen viel häufiger Probleme machen, vor allem die Staphylokokken. Sie erwiesen sich aber als gänzlich unbeeindruckt von den Nanosäulen und konnten sich auf der Oberfläche ungebremst vermehren."

Die Gründe dafür wurden den Forschern schnell klar: Staphylokokken haben eine viel dickere und damit stabilere Zellwand und als kugelförmige Bakterien auch weniger Kontakt zur Oberfläche. Also mussten sie gegen diesen Keim eine zusätzliche Waffe entwickeln. Naheliegend war die Nutzung von Silber, das seit Langem für seine antibakterielle Wirkung bekannt ist. Resistenzen wie gegen gängige Antibiotika bilden sich gegen Silber kaum aus.

Ziel war es, möglichst wenig Silber auf die Nanosäulen zu bringen, um deren Struktur zu erhalten und dabei gleichzeitig die Freisetzung der antibakteriell wirkenden Silberionen zu erhöhen. Die Forscher mussten das Silber also dazu bringen, dass es korrodiert und somit Silberionen freisetzt. Um den erwünschten Korrosionsprozess hervorzurufen, mussten die Forscher in die Trickkiste greifen. „Wir nutzen dafür das Prinzip einer Opfer-Anode“, erklärt Manfred Köller.

Es beruht darauf, dass beim Kontakt zweier Metalle dasjenige mit dem niedrigeren elektrochemischen Potenzial korrodiert, während das andere verschont bleibt. Kurz gesagt: Das weniger edle Metall opfert sich in Anwesenheit eines edleren. „Das Prinzip von Opfer-Anoden war für medizinischen Anwendungen bisher nicht genutzt worden, ist aber in der Technik gut bekannt“, so Köller. „Es wird zum Beispiel in Wasserboilern eingesetzt, wobei Zink-Elemente das Rosten verhindern.“

Wie man ein Opfer-Anoden-System auf Nanosäulen aufbringt

Das Forscherteam experimentierte also mit verschiedenen Edelmetallen in Verbindung mit Silber. Es zeigte sich, dass Kombinationen aus Silber und den Platin-Gruppen-Elementen Platin, Palladium und Iridium besonders geeignet waren, Keime abzutöten und das um ein ViDas Forscherteam experimentierte also mit verschiedenen Edelmetallen in Verbindung mit Silber. Es zeigte sich, dass Kombinationen aus Silber und den Platin-Gruppen-Elementen Platin, Palladium und Iridium besonders geeignet waren, Keime abzutöten und das um ein Vielfaches erfolgreicher als reines Silber.

„Nun blieb noch die Frage, wie man ein derartiges Opfer-Anoden-System auf die Nanosäulen bringt“, so Nadine Ziegler. Zunächst ließ sie einen hütchenartigen Überzug auf der Säulenoberfläche entstehen. Dieser führte aber dazu, dass die Nanosäulen abstumpften und ihre mechanische antibakterielle Wirkung verloren. „Also sind wir dazu übergegangen, hundertfach kleinere Nanoflecken aufzusputtern“, erläutert die Forscherin.

Während der Sputterprozess für die Nanosäulen rund vier Stunden dauert, dauert das Aufbringen der Nanoflecken nur 20 Sekunden. Die Forscherin stellte damit Oberflächen her, bei denen Silber- und Platinflecken von nur wenigen Nanometern Durchmesser und Höhe aufgebracht wurden. Solche sogenannten Dekorierungen von Nanosäulen sind so klein, dass man sie nur im Transmissions-Elektronenmikroskop sehen kann.

Tests mit den fertigen Oberflächen zeigten: Nur bei der aufeinanderfolgenden Erzeugung der Platin- und Silberflecken entfaltet das Material schließlich eine zuverlässige Wirkung auch gegen Staphylokokken. „Warum das so ist, ist auf atomarer Ebene noch nicht geklärt“, sagt Manfred Köller. „Wir vermuten die Bildung von galvanischen Nanoelementen.“

Silber verbraucht sich in drei Tagen

„Dadurch, dass das Silber durch die Korrosion binnen dreier Tage verschwindet, haben wir ein selbstlimitierendes System, das in der ersten heiklen Phase nach der Operation eine Infektion verhindern soll“, fasst der Forscher zusammen. In dieser Phase findet ein sogenanntes race for the surface statt: Keime und körpereigene Zellen konkurrieren um die Oberfläche des Implantats. Wenn es durch körpereigenes Gewebe bedeckt ist, sinkt das Infektionsrisiko auch dann, wenn das Silber verbraucht ist.

Den körpereigenen Zellen schaden die Nanosäulen nicht. Im Gegenteil: In ersten Experimenten sieht es so aus, als würden die Säulen bestimmte Blutzellen stimulieren und so die Heilung zusätzlich anregen. „Weitere Untersuchungen müssen jetzt zeigen, ob das Ganze auch unter den Bedingungen eines klinischen Einsatzes funktioniert“, so Köller.

Quelle: Ruhr Universität Bochum

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