Im Körper sind Zellen von einer extrazellulären Matrix umgeben. Sie verleiht den Zellen mechanischen Halt und trägt zur korrekten räumlichen Struktur des Gewebes bei. Um die Regeneration eines beschädigten Gewebes zu unterstützen, lässt sich statt einer natürlichen extrazellulären Matrix temporär auch eine künstliche Gerüstmatrix anwenden.
Diese Matrix muss die Bedingungen der natürlichen Zellumgebung möglichst gut imitieren, um die regenerativen Fähigkeiten des umliegenden Gewebes auszuschöpfen. Feste Implantate haben den Nachteil, dass sie umliegendes unverletztes Gewebe beschädigen können.
Weiche, injizierbare Materialien bergen dagegen das Potenzial für eine minimalinvasive Therapie, die insbesondere für sensitive Gewebe wie das Rückenmark in Frage kommt. Bisher konnten solche weichen Materialien die komplexen Strukturen natürlicher Gewebe allerdings nicht abbilden.
Gel-Stäbchen mit Magnetfeld ausrichten
Die DWI-Wissenschaftler um Dr.-Ing. Laura De Laporte forschen an einem neuen, minimalinvasiven Material, das sie als ‚Anisogel‘ bezeichnen. „Wer die Regeneration von verletztem Gewebe im Rückenmark unterstützen möchte, benötigt ein neues Materialkonzept“, ist Jonas Rose überzeugt. Er arbeitet als Doktorand an dem Forschungsprojekt. „Wir setzen Mikrobausteine zu dreidimensionalen, hierarchisch organisierten Strukturen zusammen.“
Anisogel besteht aus zwei Gelkomponenten. Das sind zunächst viele, weiche, mikroskopisch kleine Gel-Stäbchen, die geringe Mengen magnetischer Nanopartikel enthalten. Mit Hilfe eines schwachen magnetischen Feldes können die Wissenschaftler die Gelstäbchen ausrichten. Dann fixieren sie die Gelstäbchen, indem sie eine umliegende, besonders weiche Gel-Matrix vernetzen, und bilden so eine Art strukturelles Leitsystem.
Die Gelmatrix hält die Gelstäbchen an Ort und Stelle, auch wenn das Magnetfeld entfernt wird. In Zellkultur-Experimenten zeigten die Wissenschaftler, dass Nervenzellen und Bindegewebs-Zellen problemlos durch die Gelmatrix hindurch wandern und sich entlang der gebildeten Pfade orientieren. Wenn die Gelstäbchen nur ein Prozent des kompletten Anisogel-Volumens ausmachen, löst dies bereits ein gerichtetes Wachstum der Nervenzellen aus.
Langer Weg bis zur klinischen Praxis
Damit haben die Aachener Forscher das erste injizierbare Biomaterial entwickelt, das nach der Injektion eine kontrollierte, räumlich orientierte Struktur einnehmen kann und Zellen als Leitsystem dienen kann. „Das Projektteam besteht aus Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen, um dem komplexen Forschungsansatz gerecht zu werden“, so Laura De Laporte, deren Forschung durch einen ‚Starting Grant‘ des Europäischen Forschungsrats gefördert wird.
„Die interdisziplinäre Arbeit macht für mich den besonderen Reiz dieser Forschung aus.“ „Die Effekte unseres Materials auf die Nervenzellen in Zellkultur-Versuchen sind vielversprechend. Trotzdem liegt noch ein langer Weg bis zu einer Anwendung des Materials in der klinischen Praxis vor uns. Als nächsten Schritt planen wir gemeinsam mit der Uniklinik RWTH Aachen präklinische Studien, denn wir möchten unser Material weiter testen und optimieren.“
Mit dieser Forschung zu bioaktiven Materialien bringt sich das DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien auch im Forschungsverbund „Leibniz Gesundheitstechnologien“ ein. In diesem Verbund arbeiten 14 Institute der Leibniz-Gemeinschaft zusammen an konkreten Technologie-Lösungen für drängende medizinische Fragestellungen. Gemeinsam verfolgen die Forschungsinstitute das Ziel, die medizinische Versorgung von Patienten zu verbessern. Durch einen interdisziplinären Ansatz sollen Prävention, Diagnostik und Therapie zusammenwachsen und so die Lebensqualität erhöhen.