Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, unterstützt als eines der offiziellen Kooperationszentren der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die WHO seit vielen Jahren im Bereich der Standardisierung von biologischen Arzneimitteln und biologischen Tests. Zu den Aktivitäten des PEI gehören auch die Entwicklung und Bereitstellung weltweit eingesetzter Referenzpräparate der WHO (Internationale Standards), mit denen diagnostische Tests geeicht werden können.
Nur so ist die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zwischen verschiedenen Tests möglich, eine wichtige Voraussetzung für die Verlässlichkeit der Testergebnisse, unabhängig vom gerade verwendeten Test. Aufgrund der technologischen Weiterentwicklungen von diagnostischen Tests muss kontinuierlich überprüft werden, ob die WHO-Standards weiterhin als Referenz geeignet sind. Wenn dies nicht mehr der Fall ist, müssen Fachkreise informiert und bessere Standards entwickelt werden.
Etablierte Ansätze vs. diagnostische Entwicklungen
Im Auftrag der WHO und unter Leitung von PD Dr. Micha Nübling, von 2015 bis 2018 für die WHO in Genf tätig und seit 2018 Leiter der Abteilung Grundsatzfragen des PEI, hat sich eine internationale Expertengruppe mit den diagnostischen Tests für Röteln befasst. „Wir müssen kontinuierlich hinterfragen, ob etablierte Ansätze der biologischen Standardisierung auch für neue diagnostische Entwicklungen ausreichen, die Eignung der WHO-Referenzpräparate muss bei neuen Tests immer wieder überprüft und bestätigt werden“, erläutert PD Dr. Micha Nübling.
Die Infektion mit dem Rötelnvirus ist bei Schwangeren ohne ausreichenden Immunschutz sehr gefürchtet, da das Virus bei dem noch ungeborenen Kind zu schweren Schädigungen führen kann (Rötelnembryopathie). Der Immunschutz gegen Röteln beruht auf Antikörpern, die das Immunsystem aufgrund einer früher durchgemachten Infektion oder einer Impfung entwickelt. Für die Messung der schützenden Antikörper wurden lange sogenannte Neutralisationstests eingesetzt, bei denen die Menge der neutralisierenden Antikörper bestimmt wurde.
Diese Testsysteme wurden mit einem Antikörperstandard der WHO kalibriert. Ein vorhandener Immunschutz wurde mit einem unteren Grenzwert an neutralisierenden Antikörpern (10 IU/ml) gleichgesetzt. Jungen Frauen ohne ausreichende Menge neutralisierender Antikörper, fachlich als schützender Titer bezeichnet, wurde dringend eine Impfung gegen Röteln empfohlen, um bei einer Schwangerschaft geschützt zu sein.
Unterschiedliche Tests führen zu unterschiedlichen Ergebnissen
Die Neutralisationstests wurden inzwischen von einer Vielzahl weiterer Testmethoden abgelöst, mit denen alle gegen das Rötelnvirus gerichteten Antikörper nachgewiesen werden, nicht nur die neutralisierenden Antikörper. Dies illustriert, dass unterschiedliche Tests jeweils ein etwas anderes Spektrum der gegen das Virus gerichteten Antikörper erkennen können, wodurch die „Eichung“ der unterschiedlichen Tests mit einem einzigen Antikörperpräparat nicht mehr so einfach möglich ist.
Unterschiedliche Tests können für ein und dasselbe Serum zu verschiedenen Ergebnissen führen, was im Einzelfall verheerende Konsequenzen wie beispielsweise die fälschlicherweise ausgesprochene Empfehlung zum Schwangerschaftsabbruch haben kann. Die Expertengruppe erarbeitete aus diesem Grund Empfehlungen sowohl für den künftig eingeschränkten Einsatz des WHO-Referenzpräparats als auch für die Interpretation von Ergebnissen für die heutigen Rötelntests.
Die Expertengruppe empfiehlt zudem eine kritische Überprüfung des Grenzwertes für Immunschutz. Dies wird manchen jungen Frauen mit niedrigen Antikörperwerten eine möglicherweise unnötige Impfung oder frisch infizierten Schwangeren ohne vermeintlichen Antikörperschutz einen Schwangerschaftsabbruch ersparen.
Quelle: Paul-Ehrlich-Institut
Originalpublikation: Sarah L Kempster et al.; WHO international standard for anti-rubella: learning from its application; The Lancet Infectious Disease, 2019, DOI:https://doi.org/10.1016/S1473-3099(19)30274-9