Branche
on
Umstrittene Wickelmethode kann Hüftdysplasien begünstigen

Seit 1996 ist die Ultraschalluntersuchung der Säuglingshüfte Bestandteil der „U3“ im Alter von vier bis fünf Lebenswochen. © zilli / iStock / Thinkstock

| | | | | | | |

Baby-Pucken: Umstrittene Wickelmethode kann Hüftdysplasien begünstigen

Die Ultraschalluntersuchung der Säuglingshüfte gehört zum allgemeinen Vorsorgeprogramm für Kinder. Die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) sieht die Erfolge des Screenings jedoch gefährdet: Der Trend, Babys eng in Tücher oder Decken einzuwickeln, um sie zu beruhigen und das Einschlafen zu erleichtern, könnte zu einer Zunahme der Hüftfehlstellungen führen, befürchten die Ultraschallexperten.

„Beim klassischen Pucken werden die Beine in Streckstellung aneinander gebunden“, erläutert DEGUM-Expertin Dr. med. Tamara Seidl, Oberärztin der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie, Wirbelsäulenchirurgie am Franziskus Hospital in Bielefeld. Je nach Dauer des Puckens wirken hier Kräfte, die das Wachstum der Hüfte verändern und verlangsamen.

Die Hüfte reift nicht normal aus und es kann sich eine sogenannte Hüftdysplasie entwickeln, bei der Gelenkkopf und -pfanne nicht aufeinander passen. „Das geht bis hin zum Ausrenken des Gelenks“, betont Seidl und schildert ein Fallbeispiel aus der eigenen Praxis: „Das Kind war beim Ultraschall nach der Geburt unauffällig, und zunächst konnte sich keiner erklären, warum es im Alter von fünf Wochen plötzlich diese Hüftreifungsstörung gab“, berichtet die Medizinerin. „Im Gespräch stellte sich dann heraus, dass das Kind gepuckt wurde.“

Problematisch wird es insbesondere dann, wenn die Veränderungen erst nach der dritten Vorsorgeuntersuchung auftreten. Denn bei der sogenannten „U3“ in der vierten bis fünften Lebenswoche untersuchen Kinderärzte regelhaft die Hüften der Babys per Ultraschall und könnten die Schäden noch entdecken. Aktuelle Zahlen aus Australien zeigen eine Verdreifachung der spät diagnostizierten Hüftdysplasie-Fälle nach dem dritten Lebensmonat, trotz eines frühen klinischen Screenings.

Entwicklung im Zusammenhang mit dem Pucken

„Die Ursachen für diese Entwicklung der letzten Jahre sind nicht ganz klar, aber ein Zusammenhang mit dem Pucken ist sehr wahrscheinlich“, so Seidl. In anderen Ländern, etwa der Türkei oder Japan, sollen Aufklärungskampagnen die Eltern von der umstrittenen Wickelmethode abbringen.

Etwa vier Prozent aller Säuglinge kommen mit einer unreifen Hüfte zur Welt. Wird eine ausgerenkte Hüfte, „Hüftluxation“ genannt, nicht behandelt, entwickeln die Kinder einen hinkenden Gang. Seit 1996 ist die Ultraschalluntersuchung der Säuglingshüfte Bestandteil der „U3“ im Alter von vier bis fünf Lebenswochen. Kinder mit einem besonders hohen Risiko werden bereits mit wenigen Tagen im Rahmen der „U2“ geschallt.

„Das betrifft etwa Kinder, bei denen in der Familie schon Fälle von Hüftdysplasie aufgetreten sind. Oder auch Babys, die aus Beckenendlage geboren wurden“, erläutert Seidl. Den Erfolg des Screenings untermauern verschiedene Studien. So sank der Anteil der Kinder, die wegen einer Hüftdysplasie in Deutschland operiert werden mussten, nach Einführung des generellen Ultraschallscreenings von 1,26 pro 1 000 Lebendgeburten auf 0,26.

Im Rahmen der gestrigen Pressekonferenz in Berlin erörterten Vertreter der DEGUM unter anderem, welche Bedeutung die frühe Diagnose der Hüftdysplasie für deren Behandlung hat und warum bestimmte Tragetechniken, im Gegensatz zum Pucken, gut für die Hüftentwicklung sind.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin e.V. (DEGUM)


Publikation: Studer K et al.; Increase in late diagnosed developmental dysplasia of the hip in South Australia: risk factors, proposed solutions; Med J Aust, 2016; doi: 10.5694/mja15.01082

Newsletter abonnieren

Newsletter Icon MTA Blau 250x250px

Erhalten Sie die wichtigsten MT-News und Top-Jobs bequem und kostenlos per E-Mail.

Mehr zum Thema

Zwei Laboranten im Labor
Blutprobe

Das könnte Sie auch interessieren

Corona-Virus im Gehirn
Kette von Aminosäuren (Protein)
Dendritische Zellen aktivieren T-Zellen