Infektionen mit dem Magenbakterium Helicobacter pylori sind weit verbreitet. Gleichzeitig gelten sie als wichtigster Risikofaktor für das Entstehen von Magenkrebs. Nach einer Infektion kommt es zu einer vermehrten Zellteilung im infizierten Gewebe aufgrund eines bis dato unbekannten Mechanismus.
Das Forscherteam um Dr. Michael Sigal, Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie und Gastroenterologie der Charité und BIH Charité Clinician Scientist, sowie Prof. Dr. Thomas F. Meyer, Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin, konnte diesen Prozess nun erstmalig entschlüsseln.
Die im Magen befindlichen Drüsen haben eine besonders hohe regenerative Kapazität. Alle ein bis zwei Wochen werden sie komplett ersetzt. Wie eine bakterielle Infektion unter diesen Umständen zu langfristigen Veränderungen führen kann, war bislang unklar.
Stammzellen charakterisiert
„In der Basis der Drüsen finden sich jedoch langlebige Stammzellen, die stetig neue Zellen generieren“, erklärt Dr. Sigal. „Wir wollten sowohl ihre Identität bestimmen, wie auch die Prozesse, die ihre Regeneration steuern“, so der Studienleiter weiter. Die Charakterisierung der Stammzellen hat gezeigt, dass es zwei unterschiedliche Stammzellarten im Magen gibt. Beide sind positiv für den Marker Axin2.
„Wir haben herausgefunden, dass die Zellen, die sich direkt unterhalb der Drüsen befinden, ein spezifisches Molekül namens R-spondin 3 produzieren. Dieses beeinflusst die Funktion der Stammzellen maßgeblich. Es aktiviert die Zellteilung in einer Teilpopulation der Stammzellen und steigert dadurch die Regerationsgeschwindigkeit der gastrischen Drüsen“, so der Wissenschaftler.
Eine Infektion mit Helicobacter pylori führt dazu, dass die Produktion von R-spondin ansteigt und die Stammzellaktivität zunimmt. Es ist zu vermuten, dass eine langfristig erhöhte Stammzellenteilung die Krebsentstehung direkt begünstigt. Im Rahmen der Studie haben die Forscher unter anderem die Stammzellen des Magens im Tiermodell charakterisiert. Mittels sensitiver neuer Techniken konnten Moleküle im Magengewebe in hoher Auflösung dargestellt werden.
So ist es gelungen, Moleküle, die die Stammzellen regulieren, abzubilden und ihre räumliche Nähe zum Stammzellbereich zu zeigen. Ebenfalls zum Einsatz kamen ein Modell der Infektion mit Helicobacter pylori, das die ersten Vorstufen der Krebsentwicklung im Menschen nachempfindet sowie Experimente mittels sogenannter Organoide. Hierbei handelt es sich um Zellkulturen, die aus menschlichen und tierischen Stammzellen direkt aus dem Magengewebe gewonnen wurden.
Bisheriges Dogma überwunden
Während lange bekannt ist, dass bestimmte Viren Krebs auslösen können, indem sie Gene in die Wirtszelle einschleusen, werden auch Bakterien als Auslöser von Krebserkrankungen untersucht, wobei die zugrundeliegenden Mechanismen weniger klar sind. Jetzt konnten die Teams um Dr. Sigal und Prof. Meyer in Zusammenarbeit mit weiteren Kooperationspartnern das bislang geltende Dogma überwinden, bakterielle Infektionen würden lediglich Zellen an der Oberfläche beeinflussen.
„Helicobacter pylori verursacht eine lebenslange Infektion und steigert die Anzahl der langlebigen Zellen mit Stammzellpotenzial in den Drüsen des Magens. Die Geschwindigkeit der Stammzellteilung ist erhöht, was letztlich in pathologischen Veränderungen des Epithels resultiert“, folgert Dr. Sigal. „Die Studie gibt uns einen besseren Einblick in die Mechanismen, die Magenkrebs auslösen können. Sie gibt uns auch allgemeinere Hinweise darauf, wie chronische bakterielle Infektionen die Gewebefunktion stören und so das Krebsrisiko erhöhen können“, fügt Prof. Meyer hinzu.
Mit seinen Kollegen beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit den krankmachenden Eigenschaften des Bakteriums Helicobacter pylori und seinem Einfluss auf die Magenoberfläche, dem Epithel. Auf lange Sicht können die aktuellen Erkenntnisse dazu beitragen, die Entwicklung verbesserter Behandlungsansätze voranzubringen.
Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin
Publikation: Thomas F. Meyer et al.; Stromal R-spondin orchestrates gastric epithelial stem cells and gland homeostasis; Nature, 2017; doi: 10.1038/nature23642