Branche
on

Im Darm leben Billionen von Bakterien. Sie werden vom Immunsystem in einem permanenten Gleichgewicht gehalten und sind deshalb unschädlich für den Menschen. Forschende des Departementes für BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern, des Inselspitals, Universitätsspital Bern und des Deutschen Krebsforschungszentrums konnten nun zeigen, wie Antikörper im Darm diese Bakterien in Schach halten. Diese Erkenntnis könnte einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von besseren Impfstoffen leisten.

| | |

IgA-Antikörper: Wie das Immunsystem die Darmflora in Gleichgewicht hält

Im Darm leben Billionen von Bakterien. Sie werden vom Immunsystem in einem permanenten Gleichgewicht gehalten und sind deshalb unschädlich für den Menschen. Forschende des Departementes für BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern, des Inselspitals, Universitätsspital Bern und des Deutschen Krebsforschungszentrums konnten nun zeigen, wie Antikörper im Darm diese Bakterien in Schach halten. Diese Erkenntnis könnte einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von besseren Impfstoffen leisten.

Die im Darm lebenden Bakterienstämme bestehen aus rund 500 bis 1000 verschiedenen Arten. Sie machen die sogenannte Darmflora aus, die eine zentrale Rolle für die Verdauung spielt und auch Infektionen verhindert. Im Gegensatz zu Krankheitserregern, die von außen eindringen, sind sie unschädlich und werden vom Immunsystem toleriert. Wie es das menschliche Immunsystem schafft, im Darm dieses Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, ist noch weitgehend unverstanden. Bekannt ist, dass Immunglobuline vom Typ A, sogenannte IgA-Antikörper, eine wichtige Rolle spielen. Diese natürlichen Abwehrstoffe sind Teil des Immunsystems und erkennen einen körperfremden Erreger spezifisch nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip.

Nun konnte eine Gruppe von Forschenden um Dr. Tim Rollenske und Prof. Andrew Macpherson vom Departement für BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern und der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin des Inselspitals im Mausmodell zeigen, dass IgA-Antikörper die Fitness der gutartigen Bakterien auf mehreren Ebenen gezielt einschränken. Dies ermöglicht dem Immunsystem die Feinregulierung des mikrobiellen Gleichgewichts im Darm. „Wir konnten zeigen, dass das Immunsystem spezifisch diese Bakterien erkennt und sowohl im Wachstum als auch in der Aktivität einschränkt”, sagt Dr. Tim Rollenske, Erstautor der Studie.

Erstmals IgA-Antikörper in natürlicher Form hergestellt

Die IgA-Antikörper sind die häufigsten Antikörper des menschlichen Immunsystems und werden von spezialisierten Zellen in den Schleimhäuten ausgeschüttet. Sie machen zwei Drittel der menschlichen Immunglobuline aus. Erstaunlicherweise sind die meisten IgA-Antikörper, die der Körper produziert, gegen gutartige Bakterien der Darmflora gerichtet. Ohne diesen Immunschutz könnten auch diese Mikroorganismen eine gesundheitsschädigende Wirkung entfalten und Darmkrankheiten verursachen. Das Rätsel jedoch, wie die IgA-Antikörper das einvernehmliche Zusammenleben im Darm regulieren, blieb bisher ungelöst.

Der Grund dafür: Die Untersuchung von IgA-Antikörpern in ihrer natürlichen Form im Tiermodell war bisher nur eingeschränkt möglich. Diese Hürde konnten die Forschenden um Tim Rollenske und Andrew Macpherson in ihrem Versuch nun überwinden. Es gelang ihnen, eine genügende Menge von IgA-Antikörpern herzustellen, die sich spezifisch gegen eine Art von Escherichia-Coli-Bakterien, einem typischen Darm-Bakterium, richteten. Die Antikörper erkannten und banden einen Baustein auf der Hülle der Mikroorganismen.

Antikörper beeinträchtigen Fitness der Bakterien

In ihrem Versuch, an dem die Forschenden über drei Jahre arbeiteten, konnten sie den Effekt sowohl in vitro als auch in vivo im Darm von Mäusen nachverfolgen. Es zeigte sich, dass die Antikörper die Fitness der Bakterien auf verschiedene Weise kontrollierten. Zum Beispiel wurde die Beweglichkeit der Bakterien eingeschränkt. Oder sie behinderten die Aufnahme von Zuckerbausteinen für den Stoffwechsel der Bakterien. Der Effekt war davon abhängig, welcher Oberflächenbaustein spezifisch erkannt wurde. «Das Immunsystem hat so offenbar die Möglichkeit, die gutartigen Darmbakterien über verschiedene Wege gleichzeitig zu beeinflussen», erklärt Ko-Autorin Hedda Wardemann vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Die Forschenden sprechen deshalb vom IgA-Parallelismus.

Die Frage, wieso das Immunsystem mit den gutartigen Bakterien im Darm ein Gleichgewicht erzielt, pathogene Eindringlinge dagegen wirksam vernichten kann, ist nach wie vor nicht abschließend geklärt. „Unser Versuch zeigt aber, dass IgA-Antikörper das Gleichgewicht zwischen dem menschlichen Organismus und der Darmflora fein austarieren können”, sagt Ko-Autor Andrew Macpherson vom DBMR und Inselspital. Die Erkenntnisse erweitern nicht nur das grundlegende Verständnis des Immunsystems im Darm, sondern tragen auch zur Impfstoffentwicklung bei. „Wenn wir verstehen, wie und wo genau die Antikörper die Mikroorganismen im Darm erkennen, können wir auch Vakzine gegen pathogene Organismen gezielter designen”, ergänzt Tim Rollenske.

Quelle: Universität Bern


Originalpublikation: Tim Rollenske et al.; Parallelism of intestinal secretory IgA shapes functional microbial fitness; Nature, 2021, DOI: 10.1038/s41586-021-03973-7

Newsletter abonnieren

Newsletter Icon MTA Blau 250x250px

Erhalten Sie die wichtigsten MT-News und Top-Jobs bequem und kostenlos per E-Mail.

Mehr zum Thema

Dendritische Zellen aktivieren T-Zellen
Antikörper greifen Viruszelle in Blutbahn an

Das könnte Sie auch interessieren

Corona-Virus im Gehirn
Kette von Aminosäuren (Protein)
Dendritische Zellen aktivieren T-Zellen