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Wie die Speicher des Gehirns zusammenarbeiten

Die Probanden der Studie mussten sich in einem virtuellen Labyrinth zurechtfinden und nach Gegenständen suchen. Dabei wurde die Hirnaktivität aufgezeichnet. © Wavebreakmedia Ltd / Wavebreakmedia / Thinkstock

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Gedächtnisbildung: Wie die Speicher des Gehirns zusammenarbeiten

Das Gehirn legt Gedächtnisinhalte in zwei separaten Speichern ab: im Hippocampus, einem plastischen Kurzzeitspeicher und in einem Teil der Großhirnrinde, dem sogenannten Neokortex. Dieser schützt sie dauerhaft und ohne Überschreibung anderer Inhalte. Forscher vom Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen haben nun gemeinsam mit Münchner Wissenschaftlern erforscht, wie diese beiden Systeme beim Lernen zusammenarbeiten.

Der Hippocampus wird von Gedächtnisforschern seit den späten 1950er Jahren intensiv untersucht, als der berühmte Patient „H.M.“ nach einer operativen Entfernung dieser Hirnregion die Fähigkeit verloren hatte, neue Erinnerungen zu bilden. Welche Rolle dagegen der Neokortex für das Gedächtnis spielt und wie diese beiden Regionen miteinander interagieren, war weitgehend unbekannt.

In seiner neuen Studie versetzte das Forscherteam Probanden am Bildschirm in ein virtuelles Labyrinth, in dem diese versteckte Gegenstände finden mussten. Je länger sich die Versuchspersonen durch das Labyrinth bewegten, desto besser lernten sie seinen Aufbau und die Positionen der Gegenstände kennen. Während die Studienteilnehmer diese räumliche Lernaufgabe durchführten, wurde ihre Hirnaktivität mittels Magnetresonanztomografie aufgezeichnet.

Räumliche Repräsentation im Gedächtnis aufbauen

Um die Hirnareale für das räumliche Gedächtnis zu identifizieren, bedienten sich die Forscher eines Tricks: In einem Teil des Experiments war das Labyrinth unveränderlich, dadurch konnten die Teilnehmer nach und nach eine räumliche Repräsentation im Gedächtnis aufbauen. In einem zweiten Teil veränderte sich das Labyrinth ständig, sodass die Probanden nichts wiedererkennen oder lernen konnten.

„Der Vergleich der Tomografiebilder aus diesen beiden Labyrinthen offenbart, welche Hirnregionen zur Bildung des räumlichen Gedächtnisses beitragen“, erklärt Svenja Brodt, Doktorandin am Graduate Training Centre of Neuroscience und Erstautorin der Studie. „Wir waren überrascht, dass die Aktivität des Precuneus, einer Region im hinteren Neokortex, mit dem Lernen kontinuierlich anstieg, wohingegen die Aktivität im Hippocampus kontinuierlich abfiel“, sagt sie. Auch die Kommunikation zwischen beiden Regionen habe im Laufe des Lernens immer weiter abgenommen.

Lernwiederholungen haben Einfluss auf Gedächtnisbildung

„Mit diesen Ergebnissen können wir nachweisen, dass sich die langfristigen, neokortikalen Gedächtnisspuren bereits beim ersten Eintreffen neuer Informationen ausbilden“, sagt Dr. Monika Schönauer, die die Studie federführend geleitet hat. Dies sei verblüffend. Forscher seien bislang davon ausgegangen, dass dieser Prozess sehr langsam vonstattengehe und sich über Wochen oder Monate hinzöge.

Professor Steffen Gais ergänzt: „Sehr erstaunlich ist auch, dass der Hippocampus schon nach so kurzer Zeit nicht mehr am Lernen beteiligt ist.“ Die Zahl der Lernwiederholungen habe offenbar einen entscheidenden Einfluss darauf, wie schnell sich ein langfristiges und stabiles Gedächtnis im Neokortex ausbildet. „Im Precuneus bildet sich eine eigenständige Gedächtnisrepräsentation aus. Wenn der Tomograf Aktivität im Precuneus eines Probanden anzeigte, konnten wir voraussagen, ob dieser einen gesuchten Gegenstand im Labyrinth finden würde oder nicht“, erläutert Svenja Brodt.

Die neuen Studienergebnisse lieferten wichtige Erkenntnisse darüber, welche Regionen langfristige Gedächtnisspuren speichern. Dies könne helfen, künftig Patienten mit Demenz oder Funktionsstörungen des Hippocampus richtig zu behandeln. „Aber auch etwa für die Schule sind die Erkenntnisse wichtig, wenn einfache Lerninhalte schnell und langfristig erworben werden sollen, wie Vokabeln in einer Fremdsprache oder das Einmaleins. Unseren Ergebnissen zufolge erscheint häufiges Wiederholen des Lernstoffs als unumgänglich“, sagt die Wissenschaftlerin.

Quelle: Eberhard Karls Universität Tübingen

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