Multiresistente gramnegative Bakterien (MRGN) bedrohen zunehmend den medizinischen Fortschritt in der Human- und Veterinärmedizin. Forscher vermuten schon länger, dass die Erreger – und die Erbanlagen, die die Resistenzen überhaupt erst ermöglichen – zwischen Mensch, Tier und Umwelt zirkulieren.
Ein Beispiel sind multiresistente ESBL-produzierende E. coli, die in der Lage sind, bakterielle Enzyme zu bilden (so genannte Extended Spectrum Beta-Lactamasen, ESBL) und damit verschiedene Antibiotika zu inaktivieren. Ein Team um Alan McNally von der Nottingham Trent University hat jetzt gezeigt, dass der Austausch von ESBL-bildenden E. coli zwischen Menschen, Haus- und Nutztieren tatsächlich in großem Maße stattfindet.
Die Wissenschaftler untersuchten dafür mehr als 200 Isolate einer bestimmten ESBL-produzierenden E. coli-Variante (Sequenztyp 131; ST131), die aus verschiedenen Ländern und Wirten stammten. Sie analysierten und verglichen jeweils das gesamte Erbgut der Erreger – dabei kombinierten sie erstmals die detaillierte Analyse des Kerngenoms mit der Analyse des akzessorischen und regulativen Genoms.
Analyse aller drei Genombereiche
Unter Genom versteht man die Gesamtheit aller vererbbaren Informationen eines Organismus. Das Kerngenom kommt bei allen Vertretern einer Art vor. Daneben gibt es zusätzlich Gene, die variieren können – sie werden in ihrer Gesamtheit als akzessorisches Genom bezeichnet. Bakterien können ihr Erbgut auch gezielt steuern, die dafür verantwortlichen Bereiche heißen regulatorisches Genom.
Bei Stammbaum-Analysen wurde bislang meist nur das Kerngenom untersucht, in den vergangenen Jahren kamen bei einigen Bakterienarten die Analysen des akzessorischen und regulatorischen Erbguts hinzu. Durch die Kombination der Analyse aller drei Genombereiche haben die Wissenschaftler einen Blick in die Evolution und die Verbreitung dieser Erreger mit bislang einmaliger Auflösung erreicht.
Die molekulare Surveillance, die vollständige Untersuchung von Erregergenomen und die Analyse der Entwicklung und Verbreitung, wird im Infektionsschutz immer wichtiger. Eine wesentliche Voraussetzung dafür sind leistungsfähige Sequenzierautomaten und die Expertise von Bioinformatikern. Das Robert Koch-Institut kooperiert eng mit der Freien Universität Berlin und nutzt neben der eigenen Infrastruktur auch deren Supercomputer.
Quelle: Robert-Koch-Institut
Originalpublikation: McNally A. et al.; Combined analysis of variation in core, accessory and regulatory genome regions provides a super-resolution view into the evolution of bacterial populations; PLoS Genet, 2016; doi:10.1371/journal.pgen.1006280