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Zusammenspiel von Phagen und Bakterien

Forscher untersuchten nun erstmals, wie schnell und auf welchen Wegen sich die genetischen Eigenschaften von Phagen über einen langen Zeitraum verändern. © Dr_Microbe / iStock / Thinkstock

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Starterkulturen: Zusammenspiel von Phagen und Bakterien

In der Molkereiwirtschaft kommen gezielt Milchsäurebakterien zum Einsatz, um die Milchsäuregärung zur Herstellung von Milchprodukten wie Käse, Joghurt oder Butter in Gang zu setzen. Diese als sogenannte Starterkulturen industriell genutzten Bakterienkulturen werden aber häufig von bakterienspezifischen Viren infiziert, den sogenannten Bakteriophagen oder kurz Phagen.

Befallen die Phagen Milchsäurebakterien, kann es zu einer Störung des Fermentationsprozesses oder sogar zum Zusammenbruch der gesamten Bakterienkultur kommen. Für die wirtschaftliche Nutzung ist es also von entscheidender Bedeutung, das Zusammenspiel von Phagen und Bakterienkulturen genauer zu verstehen, um diese unerwünschten Effekte besser kontrollieren zu können.

In diesem Zusammenhang hat die Arbeitsgruppe Genomische Mikrobiologie am Institut für Allgemeine Mikrobiologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) gemeinsam mit dem Kieler Institut für Mikrobiologie und Biotechnologie am Max Rubner-Institut (MRI) die genetischen Mechanismen der Evolution von Phagen aus einer Molkerei untersucht.

Dazu konnten sie auf die umfangreiche Phagensammlung des MRI zurückgreifen, in der die Phagen aus einer über rund 30 Jahre kontinuierlich genutzten Milchsäurebakterien-Kultur (Lactococcus lactis) eines Betriebes tiefgefroren gelagert wurden.

Infektionen vermeiden

Die Kieler Wissenschaftler untersuchten nun erstmals, wie schnell und auf welchen Wegen sich die genetischen Eigenschaften von Phagen der Familie Siphoviridae in Anpassung an ihre bakteriellen Wirte über einen langen Zeitraum verändern.

Um Infektionen der zur Fermentation der Milch eingesetzten Bakterienkulturen mit Phagen zu vermeiden, führen Molkereien gezielt umfangreiche Phagenkontrollmaßnahmen durch, zum Beispiel Reinigungs- und Desinfektionsschritte. Trotzdem können Phageninfektionen im Produktionsablauf nicht immer vermieden werden.

„Welche Interaktionen zwischen Bakterien und Phagen während der Fermentation ablaufen und welche Prozesse Phageninfektionen möglicherweise begünstigen oder unterbinden, wird am MRI und in anderen Laboren weltweit untersucht. Dank unserer langjährigen Probenreihen haben wir uns nun gewissermaßen auf eine Zeitreise begeben und die Effekte von fast drei Jahrzehnten gegenseitiger Anpassungen von Phagen und Bakterien auf die Evolution von genetischen Elementen der Phagen untersucht“, betont Dr. Horst Neve, Leiter der Arbeitsgruppe „Bakteriophagen und Elektronenmikroskopie“ am MRI in Kiel.

Zwei wichtige Beobachtungen

Elektronenmikroskop-Aufnahmen © Dr. Horst Neve / Max Rubner-InstitutElektronenmikroskopische Aufnahmen (A) von Bakteriophagen der Milchsäurebakterien, (B) eines einzelnen Phagen nach der Anheftung (Adsorption) an die Zelloberfläche eines Milchsäurebakteriums und (C) von der beginnenden Zerstörung der Bakterienzellen durch die Phagen. © Dr. Horst Neve / Max Rubner-Institut

Um diesen langjährigen Prozess nachzuvollziehen und die damit verbundenen Veränderungen der Phagen identifizieren zu können, entschlüsselte das Kieler Forschungsteam die gesamten genetischen Informationen von 34 Siphoviridae-Phagen über den Verlauf von fast 30 Jahren.

Dabei machten sie zwei wichtige Beobachtungen, die Rückschlüsse auf die Evolution der Phagen zuließen: Besonders der sogenannte horizontale Gentransfer, also der Austausch von genetischen Informationen zwischen verschiedenen Organismen, findet zwischen Phagen demnach besonders intensiv statt.

Dabei fanden die Forschenden Bereiche in den Erbinformationen, die sich kaum änderten, während an anderen Stellen starke Variabilität herrschte. In den besonders variablen Abschnitten liegen Gene, die für die Interaktion zwischen Phagen und Bakterien verantwortlich sind und damit einem besonders hohen Selektionsdruck ausgesetzt sind.

Auffällige Aspekte

„Der umfangreiche Austausch genetischer Informationen zwischen Phagen erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass es ihnen gelingt, die mit ihnen assoziierten Bakterien zu infizieren“, betont Erstautorin Dr. Anne Kupczok, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Professorin Tal Dagans Arbeitsgruppe Genomische Mikrobiologie an der CAU forscht.

Der zweite auffällige Aspekt lag in der Geschwindigkeit, mit der sich einzelne Bestandteile der genetischen Informationen im Laufe der Evolution zufällig verändern. Diese sogenannte absolute Substitutionsrate ist bei den Phagen deutlich schneller als bei Bakterien: Sie können sich also in kürzerer Zeit an veränderte Bedingungen anpassen als ihre bakteriellen Wirte.

Dadurch, dass sie schneller evolvieren, erlangen sie möglicherweise einen Vorteil, der ihnen die Infektion der Bakterienkulturen erleichtert. Die nun vorliegende Studie bildet damit eine wichtige Grundlage, um die Auswirkung der Evolution auf das Zusammenspiel von Phagen mit industriell genutzten Bakterienkulturen besser bestimmen zu können.

Wert langfristig angelegter Evolutionsstudien

„Wir hoffen, daraus künftig möglicherweise neue Strategien abzuleiten, um unter anderem die unerwünschten Effekte von Phageninfektionen in der Milchwirtschaft zielgerichteter einzudämmen“, zeigt sich PD Dr. Charles Franz, Leiter des MRI-Instituts für Mikrobiologie und Biotechnologie in Kiel, zuversichtlich.

Die Ergebnisse des Forschungsteams unterstreichen zudem den besonderen Wert langfristig angelegter Evolutionsstudien: Ähnlich wie beispielsweise im Langzeit-Evolutionsexperiment mit Escherichia coli-Bakterien (englisch: E. coli long-term evolution experiment, LTEE) des US-amerikanischen Evolutionsbiologen Professor Richard Lenski konnten die Kieler Wissenschaftler die evolutionären Veränderungen eines Modellorganismus hinsichtlich der Genetik und des Erscheinungsbildes über mehrere Jahrzehnte dokumentieren. Sie konnten so umfangreiche Einblicke in den Ablauf evolutionärer Prozesse erlangen.

Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)


Originalpublikation: Tal Dagan et al.; Rates of mutation and recombination in Siphoviridae phage genome evolution over three decades; Molecular Biology and Evolution, 2018; DOI: 10.1093/molbev/msy027

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