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Krebsgenen die Kontrolle entziehen

Aktuelle Forschungsanstrengungen zielen insbesondere darauf ab, effizientere und weniger toxische Therapien gegen AML zu entwickeln. © vitanovski / iStock / Thinkstock

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Leukämie: Krebsgenen die Kontrolle entziehen

Der Krebsforscher Dr. Michael Kühn, vom Universitären Centrum für Tumorerkrankungen (UCT) der Universitätsmedizin Mainz, konnte zusammen mit Wissenschaftlern aus den USA zeigen, dass eine gezielte medikamentöse Inaktivierung von Chromatin-Regulatoren eine wichtige Rolle bei der Abschaltung des Stammzellprogramms spielt und eine Rückentwicklung von Leukämiezellen zu normalen Blutzellen bewirkt.

In Leukämiezellen sind häufig Gene reaktiviert, die normalerweise eine Selbsterneuerung von Blutstammzellen vermitteln. Bei einer häufigen Form der akuten myeloischen Leukämien (AML) wird diese abnorme Aktivierung dieser Stammzell-Gene offenbar durch Veränderungen an der Verpackungsstruktur des Erbgutes (DNA) verursacht. Diese Veränderungen werden wiederum durch zwei spezifische Eiweiße aus der Gruppe der sogenannten Chromatin-Regulatoren hervorgerufen, von denen die Leukämiezellen abhängig sind.

Effizientere und weniger toxische Therapien

Die akute myeloische Leukämie (AML) ist eine Subgruppe der auch als Blutkrebs bezeichneten Leukämien. Bei der AML handelt es ich um eine aggressiv verlaufende Erkrankung der blutbildenden Zellen, die ohne Behandlung nahezu immer zum Tode der betroffenen Patienten führt. Als Behandlungsmethode hat sich eine Kombination aus verschiedenen Chemotherapeutika etabliert. In Abhängigkeit vom genetischen Subtyp und Alter kann so jedoch nur etwa die Hälfte der AML-Patienten geheilt werden.

Aktuelle Forschungsanstrengungen zielen insbesondere darauf ab, effizientere und weniger toxische Therapien zu entwickeln. Mit dieser Zielsetzung führte auch Dr. Kühn von der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz zusammen mit den Arbeitsgruppen um Prof. Dr. Scott Armstrong aus New York und Boston seine Studien durch.

Sie knüpften dabei an die noch recht junge wissenschaftliche Erkenntnis an, dass Veränderungen der „Verpackungsstruktur“ von DNA zur Entwicklung von Krebserkrankungen beitragen können. Diese chemischen Veränderungen finden insbesondere an den sogenannten Histonproteinen statt, welche in allen menschlichen Zellen die DNA spulenhaft aufwickeln.

Verschiedene chemische Modifikationen der Histone können dabei entweder eine Zunahme oder eine Abnahme der Aktivitäten von Genen vermitteln. DNA, die auf Histone aufgewickelt ist, bezeichnet man auch als Chromatin. Dementsprechend werden die Eiweiße, die chemische Veränderungen an den Histonen schreiben, lesen oder beseitigen, als Chromatin-Regulatoren bezeichnet.

Forschung auf Basis von Epigenetik

Da diese Veränderungen nicht die DNA direkt, sondern übergeordnete regulative Strukturen betreffen, wird das Gebiet als „Epigenetik“ bezeichnet. Sie fügt der Erbsubstanz DNA eine neue Informationsebene hinzu. Die medizinische Forschung strebt danach, auf Basis der Epigenetik eine möglicherweise fehlgesteuerte Aktivierung von Genen mit Medikamenten wieder aufheben zu können. Ein Beispiel für ein solches Forschungsprojekt stellt die Studie von Dr. Kühn und seinen Kollegen dar.

Sie widmet sich dem AML-Subtyp der „NPM1 mutierten“ (NPM1mut) AML, die bei Erwachsenen unter 60 Jahren zu den häufigsten Leukämien gehört. Es ist schon länger bekannt, dass die NPM1mut AMLs eine Aktivierung der sogenannten Homeobox (HOX)-Stammzellgene aufweisen.

Die HOX Gene spielen eine fundamentale Rolle bei Entwicklungsprozessen von Organismen und sind insbesondere für die Selbsterneuerung von Blutstammzellen verantwortlich. Durch die Aktivierung der HOX Gene erwerben die Leukämiezellen vermutlich eben diese Selbsterneuerungs-Eigenschaften von Stammzellen.

Unklar war bislang jedoch, wie es zu dieser Aktivierung kommt. Um diese Frage zu klären, manipulierten die Forscher im Labor gezielt die DNA von Leukämiezellen: Mit Hilfe einer relativ neuen Labormethode, der so genannten CRISPR-Caspase 9 Technologie, gelang es ihnen, spezifische DNA-Abschnitte aus menschlichen Zellen präzise herauszuschneiden und somit die Funktion von zwei Proteinen zu analysieren, des Mixed-Lineage Leukemia (MLL) Proteins sowie des Disruptor of telomeric silencing 1-like (DOT1L) Proteins.

Gene durch Wirkstoffkombination abschalten

Anhand dieser Experimente konnten die Forscher zeigen, dass das Überleben der NPM1mut Leukämiezellen von diesen zwei Eiweißen abhängig ist. Diese Eiweiße gehören zu einer Gruppe von Regulatoren, die das Chromatin – eine wichtige Strukturkomponente des Zellkerns – regulieren. Im weiteren Forschungsprozess versuchten die Forscher mit Hilfe von bereits bekannten chemischen Wirkstoffen, die beiden Eiweiße gezielt auszuschalten.

Bei DOT1L gelang ihnen das mittels eines direkten Hemmstoffes, der bereits bei einer anderen Leukämieform in einer ersten klinischen Studie erprobt wird. Bei MLL war hingegen eine direkte medikamentöse Hemmung nicht möglich. Daher versuchten die Forscher, medikamentös die Chromatinbindung aufzuheben und somit die Funktion des MLLs indirekt zu unterbinden.

Jedes der beiden Medikamente verminderte jeweils die Aktivität der Homeobox-Stammzellgenen in den NPM1mut Leukämiezellen. Durch die gezielte Kombination der beiden Wirkstoffe gelang es, die Gene nahezu vollständig abzuschalten. Nach der kombinierten Behandlung mit den beiden Medikamenten veränderten sich die Leukämiezellen sehr stark und ähnelten zur Überraschung der Forscher sogar wieder normalen Blutzellen.

Für die NPM1mut Leukämien ist dies die erste molekular zielgerichtete Therapie, die in einen Schlüsselmechanismus der Leukämieentstehung eingreift. Die Arbeit der Forscher stellt eine wichtige Grundlage für klinische Studien dar, in deren Rahmen die Medikamente erstmalig bei Patienten mit NPM1mut Leukämie zum Einsatz kommen könnten.

Quelle: Universitätsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz


Publikation: Michael W.M. Kühn et al.; Targeting Chromatin Regulators Inhibits Leukemogenic Gene Expression in NPM1 Mutant Leukemia; Cancer Discov, 2016; doi:10.1158/2159-8290

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