Wissenschaftler des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) der Universität Luxemburg haben das Ausmaß dieser Wissenslücke nun gemeinsam mit einem interdisziplinären Team systematisch erfasst und charakterisiert. Dabei haben die Forscher ermittelt, wie viele der gefundenen Proteine Enzyme mit unbekannter Funktion sind. Bei Enzymen handelt es sich um Proteine, die darauf spezialisiert sind, Tausende chemischer Reaktionen zu ermöglichen, die zu jeder Zeit in lebenden Zellen stattfinden.
„Wir konnten zeigen, dass beispielsweise in Hefezellen oder im menschlichen Körper etwa 30 Prozent der gefundenen „unbekannten“ Proteine Enzyme sind, bei denen unklar ist, welche Rolle sie in den Zellen oder im gesamten Organismus spielen“, so Dr. Carole Linster, Leiterin der Arbeitsgruppe „Enzymology & Metabolism“ am LCSB.
Wissenschaftler vor Verständnisproblem
Viele Krankheiten, insbesondere erbliche Stoffwechselkrankheiten, stehen mit einem Gendefekt in Verbindung, der dazu führt, dass bestimmte Enzyme fehlen oder falsch gebildet werden. Daher hoffen Forscher durch die Analyse von Gensequenzen, also der genetischen Bauanleitung für diese Enzyme, einen besseren Einblick in die Entstehung und Ursachen dieser Erkrankungen zu bekommen.
Zwar ist es dank moderner Sequenzierungstechniken heutzutage möglich, das komplette Genom, also die Gesamtheit aller Erbinformationen eines Organismus, schnell und kostengünstig zu bestimmen. Doch die Wissenschaftler stehen hier vor einem Verständnisproblem: „Mittlerweile haben wir zwar Tausende Genome verschiedenster Arten entschlüsselt und wissen, in welche Proteine sie übersetzt werden“, so Linster, Leiterin der Studie.
„Doch wir haben in unserer Analyse gesehen, dass es auf dieser Proteinlandkarte noch sehr viele weiße Flecken gibt, wenn es um unser Verständnis geht: Selbst bei Organismen, die seit Jahren intensiv erforscht werden, ist bei etwa einem Drittel der gebildeten Proteine nicht klar, welche Funktion sie im Organismus haben“.
Die Funktion vieler Eiweiße ist nach wie vor unklar
Die Biochemikerin vergleicht diese Wissenslücke mit einem Archäologen, der ein antikes Schriftstück findet: „Selbst wenn der Forscher die einzelnen Buchstaben entziffern kann, heißt das nicht, dass er auch die Aussage des Textes versteht. Dazu muss er zunächst herausfinden, was die einzelnen Wörter bedeuten.“
Ähnlich ergehe es Forschern, die die Ursache so genannter seltener Krankheiten erforschen wollen. „Wenn wir herausfinden wollen, wie sich bestimmte Gendefekte auf den Organismus auswirken, reicht es nicht aus, zu wissen, welche Buchstaben der Gensequenz der einzelnen Proteine vertauscht wurden. Wir müssen wissen, welche Aufgaben diese Eiweiße im Organismus haben und was passiert, wenn falsch gebildete Proteine zu Krankheitssymptomen führen.“
Im nächsten Schritt wollen Dr. Lister und ihre Kollegen die Rolle einiger dieser unerforschten Proteine genauer untersuchen und somit dazu beitragen, einen Teil der Wissenslücke zu schließen.
Quelle: idw – Informationsdienst Wissenschaft
Publikation: Carole L. Linster et al.; Confronting the catalytic dark matter encoded by sequenced genomes; Nucleic Acids Research, 2017; DOI: 10.1093/nar/gkx937