Alles begann mit einer Hand
Schon wenige Wochen später, und zwar am 22. Dezember 1895, machte Conrad Röntgen das erste Röntgenbild. Er bat seine Frau Anna Bertha, sich ruhig hinzusetzen und bestrahlte rund 25 Minuten lang ihre Hand, die auf einer Fotoplatte lag.
So entstand das berühmte erste Röntgenbild, das deutlich die Knochen der Hand und den Ehering zeigte. Weltweit sollten viele weitere Röntgenaufnahmen folgen. Die neue Strahlentechnik wurde in kürzester Zeit zum Standardverfahren der Medizin und auch zur Strahlentherapie genutzt.
Geltungsdrang war Conrad Röntgen fremd
Conrad Röntgen, damals im Jahr 1895 Rektor der Universität Würzburg, galt als bescheidener Mensch. An Ruhm und Reichtum war er nicht interessiert. Er arbeitete mit größter Entschlossenheit fast rund um die Uhr, schloss sich zuweilen in seinem Labor ein, sprach mit niemandem. Dies zum Leidwesen seiner Familie.
Eitelkeit oder Geltungsdrang waren Conrad Röntgen dabei völlig fremd. Rummel um seine Person hasste der als wortkarg charakterisierte Mann. Nur so lässt sich erklären, warum er bis zu seinem Lebensende nie den Begriff „Röntgenstrahlen“ nutzte. Er sprach immer von den „X-Strahlen“ – der unbekannten, unsichtbaren und durchleuchtenden Strahlung, die durch feste Stoffe dringt. Ein Begriff, der sich im anglo-amerikanischen Sprachraum als „X-Rays“ durchsetzte.
Röntgen hatte sich nämlich ein uneigennütziges Ziel gesteckt. Seine Erfindung sollte den Menschen zugutekommen und Allgemeingut werden. Heute würde man von Open Source sprechen. Zudem galt Conrad Röntgen als vermögend und wollte scheinbar als Physiker sein Geld nicht mit kranken Menschen verdienen. Er verzichtete daher auf den Patentschutz seiner Entdeckung. Das wiederum begünstigte die rasante Anwendung und Verbreitung der Röntgendiagnostik.
Nobelpreis für Röntgenstrahlen im Jahr 1901
Ein wichtiges Ereignis markiert für Wilhelm Conrad Röntgen den Höhepunkt seiner verzweigten wissenschaftlichen Karriere. Im Jahr 1901 bekam er für seine Entdeckung der Röntgenstrahlen den Nobelpreis für Physik – den ersten, der in dieser Fachrichtung verliehen wurde.
Er fuhr zwar zur Verleihung des Nobelpreises nach Schweden, weigerte sich jedoch in Stockholm bei der Verleihung eine Rede zu halten. Das Preisgeld von damals 50 000 Kronen (heute liegt es bei etwa 950 000 Euro) spendete Röntgen der Universität Würzburg zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Röntgenstrahlen waren anfangs nicht immer zum Segen der Menschheit
Andere waren dagegen nicht so philanthropisch. Die Röntgenstrahlung versetzte die gesamte Medizintechnikbranche in helle Aufregung. Es entstand ein Boom mit zahlreichen wegweisenden Patenten rund um die medizinische und nicht-medizinische Nutzung der Röntgenstrahlen. Die Faszination, einen Blick in den Körper zu erhaschen, war weltweit so groß, dass erste bekannte Hinweise auf die schädigende Wirkung der Röntgenstrahlen ignoriert wurden.
Die Aufregung um die neuen Strahlen gipfelte in Jahrmarkt-Attraktionen, wo Menschen Schlange standen, um einen Blick in ihren Körper werfen zu dürfen. Erst als Forschende und Ärzte beim sorglosen Umgang mit der Strahlung schwere Strahlenverbrennungen erlitten, sodass beispielsweise Hände amputiert werden mussten oder an Krebserkrankungen verstarben, entwickelte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts ein Bewusstsein für die schädigende Wirkung von ionisierenden Strahlen.
Die Röntgen- und Strahlenschutzverordnungen wurden aber erst nach der Mitte des 20. Jahrhunderts gesetzlich in Deutschland verankert.
Sorgloser Umgang mit den neuen Strahlen: Wo Licht ist, ist auch Schatten
Frühe Gefahrenhinweise schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden demgemäß verkannt. Die Euphorie um das „neue“ Licht und auch finanzielle Interessen waren groß. Das, obwohl bereits die grundlegenden Strahlenschutzmaßahmen schon Ende des 19. Jahrhunderts bekannt waren. Eine Röntgenaufnahme dauerte anfangs bis zu einer Stunde wegen der langen Belichtungszeit und brachte deshalb eine lange Strahlenexposition mit sich.1
Kaum vorstellbar: Noch bis Mitte 1940 wurden Röntgeneinrichtungen meist schutzlos betrieben! 2
Conrad Röntgen und seine Ehefrau erlitten keine Strahlenschäden
Conrad Röntgen erlitt aber nicht das Schicksal von anderen, die durch Strahlen erkrankten. Denn sehr bald stellte er fest, dass unbelichtete Fotoplatten in seiner Tasche durch die Strahlen belichtet und unbrauchbar wurden, wenn er im Raum blieb. So verließ er regelmäßig das Zimmer bei der Anfertigung von Röntgenaufnahmen und schützte sich so. Auch seine Frau Bertha (1839-1919) starb nicht an einer Strahlenkrankheit.
Die Attraktion Röntgen im Schuhgeschäft gab es bis in die 1960er Jahre
Noch bis in die späten 1960er Jahre war es in Deutschland üblich, am Pedoskop (Fluoroskop) im Schuhgeschäft zu prüfen, ob die neuen Schuhe gut passten. Vor allem Kinder sollten ihre Füße in eine braune Holzkiste mit Röntgenröhre stellen. Sie wurden vom Verkaufspersonal an den Füßen durchleuchtet! Bekanntlich schützt Holz – nicht wie beispielsweise Blei – vor Strahlen.
Kindheitserinnerung im Schuhgeschäft
Die Autorin erinnert sich an ein solches Schuhgeschäft aus ihrer Kindheit Ende der 1960-er Jahre in Mülheim an der Ruhr. Ihr Vater, Radiologe am dortigen Krankenhaus, verbot aber zum Bedauern seiner Tochter die Durchleuchtung der Füße, um zu prüfen, ob die neuen Schuhe passen. Er mied seitdem kopfschüttelnd das „strahlende“ Schuhgeschäft.
In Deutschland wurde erst 1976 ein Verbot dieser Geräte im Schuhhandel erlassen. Zuvor waren Kinder, Eltern und das Verkaufspersonal völlig unkontrolliert der Röntgenstrahlung während der durchaus längeren Durchleuchtung ausgesetzt.3
Werbetafel für das Pedoskop zum Durchleuchten der Füße © Archiv Deutsches Röntgen-Museum
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Beatrix Polgar-Stüwe
Quellen:
1 Kurze Geschichte des Röntgen; radiologie24.ch
2 The First Fifty Years of Radiation Protection - A Brief Sketch; ISU Health Physics Radinf The Radiation Information Network
3 Geschichte des Strahlenschutzes; wikiwand.com
Weiterführende Quellen zur Geschichte des Röntgens:
Deutsches Röntgen-Museum
Das „Radiologienetz“ auf Radiologie.de