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Genomsequenzierung Symbolbild.

Expertinnen und Experten weisen auf die große Bedeutung der Genommedizin hin. © kentoh / iStock / Getty Images Plus

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GenomDE-Symposium: Die Zukunft der Genommedizin in Deutschland und Europa

Zum zweiten genomDE-Symposium unter dem Motto „Von Menschen und Molekülen: Perspektiven der Genommedizin“ kamen in Berlin rund 180 Teilnehmende zusammen. Sie diskutierten über die Herausforderungen der Genommedizin in Deutschland und Europa. Themen wie der Versorgungsnutzen, der Blick auf europäische Initiativen, Datenschutz, -nutzen und -governance sowie die Lebensrealität mit Erfahrungen aus der Patientensicht standen im Fokus.

Die Nationale Strategie für Genommedizin soll helfen, die Nutzung genomischer Informationen zu einem innovativen Bestandteil der Regelversorgung zu etablieren. Der Start des Modellvorhabens in der klinischen Anwendung ist zum 1. Januar 2024 geplant.

Wenn auch in Deutschland alles ein wenig länger dauert, waren sich die Experten in einem Punkt einig: Die deutsche Position in der genomischen Medizin wird sich durch die Umsetzung des Modellvorhabens deutlich verbessern. Die Initiative zur Medizinischen Genomsequenzierung und das Modellvorhaben § 64e SGB V beinhalten konkret, dass Menschen mit seltenen Erkrankungen oder mit einer erblichen Veranlagung, die von der Genommedizin profitieren können, mit Beginn des nächsten Jahres Zugang zu dieser Art der Versorgungsform erhalten werden.

Personalisierte Medizin

Die Genommedizin unterstützt die zeitnahe Diagnosestellung, den Einsatz zielgerichteter Therapien und dient der Krankheitsvorsorge. Die vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Initiative genomDE sorgt mit ihren Partnern aus Forschung, Versorgung und Patientenvertretung für die inhaltliche und strukturelle Ausgestaltung. Zugleich stellt genomDE einen wichtigen Baustein einer künftigen Forschungsdateninfrastruktur im deutschen Gesundheitswesen dar.

Die TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V. dient als Koordinationsstelle. Gleich zu Beginn der Veranstaltung erläuterte Dr. Dorothee Andres, Referat 116 – Biotechnologische Innovationen, Nanotechnologie und Gentechnik – im Bundesgesundheitsministerium, den Nutzen der Genommedizin, der zum einen darin besteht, dass personalisierte Medizin jedem künftigen Patienten mit gleicher genetischer und klinischer Konstitution das Leben retten kann.

Ferner können potenziell unwirksame Therapien ausgeschlossen werden. Drittens kann das Wissen über ähnliche genetische und klinische Fälle die Diagnosestellung beschleunigen und absichern. Sie hob hervor, dass Daten sichere und bessere Therapien ermöglichen, was durch den Austausch mit europäischen Partnern im Rahmen des Europäischen Raums für Gesundheitsdaten (EHDS) weiterhin gesteigert werde.

Genomsequenzierung im klinischen Alltag

Prof. Dr. Nisar Malek, Deutsches Netzwerk für personalisierte Medizin am Universitätsklinikum Tübingen unterstrich, dass genomDE einen verbesserten Zugang für Patient:innen zur Genomsequenzierung ermögliche, indem es etablierte Strukturen in Forschung und Versorgung bestmöglich zusammenführe. Dabei werden ethische, rechtliche und gesellschaftliche Implikationen sowie etablierte Patientenvertretungen einbezogen und die höchsten Regularien zu Datenschutz und -sicherheit eingehalten.

Prof. Markus Nöthen, Zentrum für seltene Erkrankungen und Genomdiagnostik am Universitätsklinikum Bonn und Direktor des Instituts für Humangenetik, erläuterte über das Beispiel Ludwig van Beethoven, wie die Genomanalyse von sechs Locken des Komponisten mit identischer DNA nachträglich Erkenntnisse über seine Erkrankungen brachte: Daraus ergaben sich zwar keine Hinweise auf monogene Erkrankungen für seine Hörstörungen und Magen-Darm-Erkrankungen.

Für die Leberzirrhose hingegen fanden sie die Anlageträgerschaft für Hämochromatose und ein stark erhöhtes Risiko aufgrund einer Variante im PNPLA3-Gen. Nicht nur deshalb, sondern insbesondere bei lebenden Personen, wird die Genomsequenzierung bei Seltenen Erkrankungen (SE) ein entscheidender Schritt für eine umfassende genetische Diagnostik sein.

So empfand Nöthen es als einen „enormen Fortschritt, dass die Genomdiagnostik mit der Sequenzierung vollständiger Genome ab Beginn 2024 endlich Eingang in den Klinikalltag finden wird. So steht Menschen, bei denen das Vorliegen einer genetisch bedingten SE vermutet wird, die bestmögliche Diagnostik zur Verfügung.“

Entlastung für Erkrankte

Mehr als 7000 dieser Erkrankungen gibt es, laut EU-Definition treten SE bei weniger als fünf von 10 000 Menschen auf. In Deutschland betrifft es etwa vier Millionen Menschen, 80 Prozent aller SE haben eine genetische Ursache. Bei mehr als 3000 der genetisch verursachten SE sind die ursächlichen Gene und Mutationen bereits bekannt. Deshalb ist die Identifizierung des Gendefekts über die molukulargenetische Diagnostik nötig, um die eigentliche Krankheitsursache nachzuweisen.

Das Ergebnis entlastet Erkrankte – beziehungsweise bei Kindern auch die Eltern – durch Kenntnis der Diagnose, Anpassung der Therapie und Einschätzung der weiteren Entwicklung. Insgesamt sind die infrastrukturellen Voraussetzungen des Modellvorhabens unter anderem durch fächerübergreifende klinische Expertise an den Unikliniken beziehungsweise eine tiefe Kenntnis der Genomvarianzen an humangenetischen Instituten und Zentren für SE gegeben. Sie ermöglichen den Austausch sowie die gemeinsame Nutzung von Daten im Modellvorhaben.

Komplementär aufgestelltes Versorgungskonzept

Ferner sorgen rasch wachsende Sequenzierkapazitäten für eine erfolgreiche Umsetzung. Prof. Dr. Rita Schmutzler, Mitglied des Steuerungsgremiums von genomDE und Koordinatorin des Deutschen Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs, skizzierte den klinischen Nutzen der Genomsequenzierung bei erblichen Tumorerkrankungen. Da der erbliche Brust- und Eierstockkrebs ein relevantes Gesundheitsproblem ist und die derzeitige Genpanelanalyse nur einen Bruchteil der genetischen Veränderungen aufdeckt, ermöglicht das Modellvorhaben eine systematische Suche nach neuen genetischen Alterationen.

Darauffolgende klinische Maßnahmen können im komplementär aufgestellten Versorgungskonzept angeboten werden. Durch die umfassende Datenbank des Konsortiums können in Zukunft Betroffene bei Neubewertungen rekontaktiert werden. Die Perspektive der somatischen Onkologie bei Lungenkrebs erläuterte Prof. Dr. Jürgen Wolf, Ärztlicher Leiter am Zentrum für integrierte Onkologie am Universitätsklinikum Köln.

Durch die Genomsequenzierung können Patient:innen von mutationsspezifischen Therapien profitieren, dabei ist die Paneldiagnostik derzeit die Methode der Wahl bei etablierten Treibermutationen. Weil bislang zu wenig getestet wurde, sterben immer noch viele Menschen.

Unterschiede innerhalb Europas

Eine Gruppe von Menschen mit fortgeschrittenem Lungenkrebs hat ein Netzwerk ins Leben gerufen, um ihr Wissen weiterzugeben. Sie haben aufgrund der molekularen Diagnostik bereits jahrelang überlebt und bieten Unterstützung über die Webseite zielgenau.org.

Ein Blick auf die Nachbarländer Schweden, Portugal und Dänemark zeigte den unterschiedlichen Stand der Genomsequenzierung in Europa auf. So sind in Schweden bereits über 5000 Genome komplett analysiert und bieten Informationen zu SE, Leukämien und weiteren hämatologischen Malignomen.

In Dänemark agiert das Danish National Genom Center (DNGC) mit staatlicher Unterstützung und kooperiert bereits mit Schweden, Frankreich, England und Norwegen, daneben erfolgt der Wissensaustausch mit zahlreichen Ländern weltweit. In Portugal soll über das Portal EVITA ab September 2023 die Genombestimmung möglich werden.

Datenschutzrechtliche Anforderungen

Ein weiteres Thema war die Diskussion zur künftigen Dateninfrastruktur und den damit verbundenen datenschutzrechtlichen Anforderungen für eine sichere Datennutzung und -verarbeitung. Diese Verantwortung soll in Zukunft beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) liegen. Sebastian Claudius Semler, Leiter der Koordinierungsstelle für genomDE, erwartet die Novellierung des Modellvorhabens, das in das Gesundheitsdatennutzungsgesetz integriert werden soll.

Hierbei müssten noch verschiedene rechtliche Fragestellungen geklärt werden. Prof. Schmutzler betonte, dass die bereits etablierten Netzwerke mit ihren umfassenden Datenbanken von großem Nutzen für den zeitgerechten Beginn des Modellvorhabens seien. Eine Expertengruppe werde Kerndatensätze konsentieren, damit die Netze in einer einheitlichen Struktur zur Verfügung stehen – für einen verantwortungsvollen, datenschutzkonformen Umgang. Der Abgleich mit der Medizininformatik-Initiative soll die Datenharmonisierung und die Sekundärdatennutzung weiter vorantreiben.

Mirjam Bauer

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