Branche
on
Gibt es generationsübergreifende Auswirkungen?

Spermien enthalten neben der väterlichen DNA auch sogenannte RNA-Moleküle. © qimono / Pixabay

| | | | | |

Körperliche Aktivität: Gibt es generationsübergreifende Auswirkungen?

Körperliche und geistige Aktivität sind nicht nur gut für das eigene Gehirn, sie können auch die Lernfähigkeit späterer Nachkommen beeinflussen, zumindest bei Mäusen. Darüber berichten Prof. André Fischer und Fachkollegen vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Göttingen und München und der Universitätsmedizin Göttingen (UMG).

Erworbene Eigenschaften ändern nicht die DNA-Sequenz und können daher nicht an die Nachkommen weitergegeben werden, so lautete lange Zeit das Dogma der Genetik. In den letzten Jahren haben Wissenschaftler jedoch einige Beispiele gefunden, die diesem Prinzip widersprechen.

Eine schlechte Ernährung beispielsweise erhöht das Krankheitsrisiko – nicht nur das eigene, sondern auch das der Nachkommen. Auch Lebensumstände wie Stress oder Trauma können sich auf die nächste Generation auswirken. Wissenschaftler nennen dieses Phänomen „epigenetische“ Vererbung, da sie nicht mit einer Veränderung der DNA-Sequenz einhergeht. 

Prof. André Fischer und Fachkollegen untersuchten nun die Vererbung einer weiteren erworbenen Eigenschaft: der Lernfähigkeit. Es ist bekannt, dass geistige und körperliche Aktivität die Lernfähigkeit verbessern und das Risiko für Erkrankungen wie Alzheimer mindern. Bei Mäusen zeigten die Wissenschaftler nun, dass Lernfähigkeit epigenetisch vererbt wurde. 

Konzentration auf epigenetische Vererbung

Wenn Fischer und Kollegen Mäuse einer stimulierenden Umgebung aussetzten, in der sie viel Bewegung hatten, profitierten davon auch ihre späteren Nachkommen: Sie schnitten, im Vergleich zu den Tieren einer Kontrollgruppe, in Tests der Lernfähigkeit besser ab.

Darüber hinaus war die sogenannte synaptische Plastizität im Hippocampus, einer wichtigen Lernregion des Gehirns, verbessert. „Synaptische Plastizität“ ist ein Maß dafür, wie gut Nervenzellen miteinander kommunizieren und damit die zelluläre Grundlage für das Lernen.

Als nächstes untersuchten die Wissenschaftler, welcher Mechanismus diesem Phänomen zugrunde liegen könnte. Sie konzentrierten sich dabei auf die epigenetische Vererbung von Vätern und suchten nach dessen materieller Grundlage in den Spermien. Spermien enthalten neben der väterlichen DNA, dem Molekül, in dem die Erbanlagen gespeichert sind, auch sogenannte RNA-Moleküle.

Synaptische Plastizität und die Lernfähigkeit verbessert

In Experimenten überprüften die Wissenschaftler daher, welche Rolle diese RNA-Moleküle bei der Übertragung der Lernfähigkeit spielen. Dazu extrahierten sie RNA aus Spermien von Mäusen, die körperlich und geistig aktiv waren. Diese injizierten sie in befruchtete Eizellen und untersuchten die Tiere, die sich daraus entwickelten.

Fazit: Auch in diesen Mäusen waren die synaptische Plastizität und die Lernfähigkeit verbessert. Die körperliche und geistige Aktivität wirkte sich also auf die kognitiven Fähigkeiten der Nachkommen positiv aus und dieser Effekt wurde durch die RNA in den Spermien übertragen.

In weiteren Injektionsexperimenten mit RNA-Extrakten konnten die Wissenschaftler genauer eingrenzen, welche RNAs für die epigenetische Vererbung verantwortlich sind. Sie zeigten, dass zwei sogenannte microRNAs, miRNA212 und miRNA132, zumindest einen Teil der vererbten Lernfähigkeit erklären können.

Lernfähigkeit und epigenetische Vererbung

Prof. André Fischer © UMG / SpförtnerProf. André Fischer © UMG / Spförtner

microRNAs sind Steuermoleküle, sie beeinflussen die Aktivierung von Genen. „Unsere Arbeiten bringen zum ersten Mal ein epigenetisches Phänomen konkret mit bestimmten microRNAs in Verbindung“, sagt Fischer, leitender Wissenschaftler am DZNE und an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG.

Darüber hinaus stellten die Forscher fest, dass sich miRNA212 und miRNA132 nach körperlicher und geistiger Aktivität sowohl im Gehirn als auch in den Spermien der Mäuse anreichert. Im Gehirn fördern diese RNAs, das war bereits bekannt, die Bildung von Synapsen und damit die Lernfähigkeit. Über die Spermien werden sie auf die Nachkommen übertragen.

„Hier verändern sie vermutlich sehr subtil die Gehirnentwicklung, so dass die Nervenzellen besser vernetzt sind und die Nachkommen einen kognitiven Vorteil haben“, sagt Fischer. Auch beim Menschen weiß man, dass körperliche Aktivität und geistiges Training die Lernfähigkeit steigern.

Ob Lernfähigkeit epigenetisch vererbt wird, lässt sich beim Menschen jedoch nicht ohne Weiteres untersuchen. Die Ergebnisse von Fischer und seinen Kollegen helfen aber, Hinweise auf diese Frage zu finden. So planen die Forscher nun, zu überprüfen, ob auch in menschlichen Spermien die Moleküle miRNA212 und miRNA132 nach Phasen körperlicher oder geistiger Aktivität angereichert werden.

Quelle: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)


Originalpublikation: Cemil Kerimoglu et al.; RNA-dependent intergenerational inheritance of enhanced synaptic plasticity after environmental enrichment; Cell Reports, 2018; DOI: 10.1016/j.celrep.2018.03.059

Newsletter abonnieren

Newsletter Icon MTA Blau 250x250px

Erhalten Sie die wichtigsten MT-News und Top-Jobs bequem und kostenlos per E-Mail.

Mehr zum Thema

Rote Blutkörperchen
DNA

Das könnte Sie auch interessieren

Leukämie
Schwangere Frau beim Ultraschall
Viruszelle