Die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose (MS) ist eine der häufigsten mit Behinderung einhergehende Erkrankung junger Erwachsener in den Industrienationen. Bei dieser greift das eigene Immunsystem das zentrale Nervensystem (ZNS) an: Immunzellen (T-Zellen) wandern über die Blut-Hirn-Schranke, die physiologische Barriere zwischen Blutkreislauf und ZNS, ins Gehirn und schädigen dort die schützende Hülle (Myelinschicht) der Nervenfasern.
Dadurch kommt es zu einem Abbau bzw. Funktionsverlust von Nervenzellen und in der Folge zu neurologischen, mit Behinderung einhergehenden Symptomen. Diesen krankheitsauslösenden Mechanismus durch neue Therapien zu unterbinden, ist Ziel der MS-Forschung.
Die Anwendung des Proteins EGFL7 in den Fokus ihrer Forschungsarbeiten gestellt, haben Wissenschaftler um Dr. Timo Uphaus und Univ.-Prof. Dr. Frauke Zipp von der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz zusammen mit Dr. Catherine Larochelle (Universität Montreal) sowie mit Univ.-Prof. Mirko Schmidt und Kollegen vom Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK).
EGFL7 als Forschungsgegenstand
Damit haben sie sich für einen neuen, pathophysiologischen Forschungsansatz entschieden, denn üblicherweise spielt EGFL7 in der MS-Forschung keine Rolle. Aus der Tumorforschung beispielsweise zu Mammakarzinomen ist jedoch bekannt, dass EGFL7 einen Einfluss auf die Einwanderung von Immunzellen in das Tumorgewebe hat.
Da auch bei der MS die Einwanderung von Immunzellen in das Gehirn ein wesentlicher Einflussfaktor ist, wählten die Forscher dieses Protein und seine Wirkungen auf die Autoimmunerkrankung MS als Forschungsgegenstand. Mit Erfolg! Denn mit diesem Forschungsansatz ist es ihnen gelungen, einen möglichen neuen MS-Therapieansatz aufzeigen.
Basis dessen könnten folgende neu gewonnene Erkenntnisse sein: Ist das Nervengewebe des ZNS entzündet, herrschen im Gehirn inflammatorische Bedingungen. Erfolgt unter diesen eine vermehrte Ausschüttung von EGFL7, dann führt das dazu, dass Immunzellen an EGFL7 binden, somit festgehalten werden und eine weitere Einwanderung ins ZNS verhindert wird.
Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke
Wie die Wissenschaftler im Rahmen ihrer Forschungen herausfanden, ist EGFL7 im Gefäßsystem von MS-Patienten hochreguliert, also zahlreich vorhanden. EGFL7 wird von Endothelzellen der Blut-Hirn-Schranke abgegeben. Es bewirkt, dass die Immunzellen im perivaskulären Raum festgehalten werden. Im nächsten Schritt beobachten die Wissenschaftler im Modellversuch, dass durch die Anwendung von EGFL7 die Blut-Hirn-Schranke weniger durchlässig wurde.
EGFL7 minderte also das verstärkte Eindringen von Immunzellen in das ZNS und wirkte somit dem krankheitsauslösenden Mechanismus entgegen. Durch die stabilere Blut-Hirn-Schranke sank die Immunzellinfiltration in das ZNS, wodurch sich wiederum der gesamte klinische Verlauf verbesserte. Im Rahmen ihrer Forschungen ist es den Wissenschaftlern zudem gelungen, diese experimentellen Ergebnisse in einem humanen Blut-Hirn-Schranken-Modell zu bestätigen: Ihre Untersuchungen zeigten auch in isolierten menschlichen Endothelzellen eine verminderte Migration von Immunzellen.
Wie die Wissenschaftler weiterhin feststellten, ist es prinzipiell möglich, die positiven Einflüsse von EGFL7 auf die Einwanderung von Immunzellen in das ZNS und die Stabilität der Blut-Hirn-Schranke für die Therapie von Multiple Sklerose nutzbar zu machen.
Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Originalpublikation: Catherine Larochelle et al.; EGFL7 reduces CNS inflammation in mouse; Nature Communications, 2018; DOI: 10.1038/s41467-018-03186-z