Das Weltall ist seine große Leidenschaft: Schon im Alter von sieben Jahren kennt Konstantin verschiedene Theorien über das Universum und ist vom Leben des Astrophysikers Stephen Hawking fasziniert. Spricht man ihn an, während er in seine Bücher vertieft ist, reagiert er nicht – geschweige denn, dass er Blickkontakt aufnimmt. Konstantin leidet unter einer Autismus-Spektrum-Störung.
Bei diesen tiefgreifenden Entwicklungsstörungen differenziert man zwischen frühkindlichem Autismus, atypischen Autismus und dem Asperger-Syndrom. Gemeinsam sind allen Varianten Auffälligkeiten im Bereich der Kommunikation, der sozialen Interaktion sowie im Bereich des Verhaltens. Autisten erkennen häufig Gefühle (wie Freude, Trauer, Angst oder Ekel) im mimischen Ausdruck ihrer Mitmenschen nicht und können sich daher nur schlecht sie hineinversetzen.
Medizinische Klassifikation
Autismus entspricht laut ICD-10 (International Statistical Classification of Deseases and Related Health Problems), den Diagnosekriterien der WHO (Weltgesundheitsorganisation), einer medizinischen Diagnose, die unter F84 gelistet ist. Im Klassifikationssystem DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) der American Psychiatric Association (APA) sind die verschiedenen Formen unter dem Begriff Autismus-Spektrum-Störung (ASS) zusammengefasst.
Verschiedene Schweregrade
Beim frühkindlichen Autismus kommt es bereits vor dem dritten Lebensjahr zu Abweichungen, die vor allem den sozialen Umgang, die Kommunikation sowie stereotype Verhaltensweisen betreffen. Den Kindern mangelt es an sozialen, kognitiven, verbalen und motorischen Kompetenzen – meist sprechen sie gar nicht oder nur sehr eingeschränkt.
Sie meiden Blick- und Körperkontakt, weisen Sprachauffälligkeiten auf, zeigen wenig Interesse am gemeinsamen Spiel und wirken auf Ansprache wie taub. Der Atypische Autismus setzt hingegen später ein und geht nicht immer mit dem Vollbild der Symptomatik einher. Die Einschränkungen beim Asperger-Syndrom sind hingegen deutlich geringer.
Verzögerungen in der Sprach- oder kognitiven Entwicklung sind bei Betroffenen nicht vorhanden, allerdings verhalten sie sich in sozialen Situationen oft unangemessen und wirken daher auf Außenstehende plump. Wie Menschen mit frühkindlichen Autismus fallen Asperger-Patienten auch durch stereotype Verhaltensweisen oder eingeschränkte Aktivitäten auf, allerdings wünschen sie sich die Beziehungen zu den Mitmenschen durchaus.
Die Interessen Betroffener sind in der Regel eng, aber übermäßig intensiv. Sie beschäftigen sich gerne mit ihren Lieblingsthemen, haben nicht selten besondere Begabungen und weisen im Alltag wenig Gefahrenbewusstsein auf.
Gegenwärtige Behandlung
Autisten wie Konstantin werden stets mit verhaltenstherapeutischen Maßnahmen (in Kombination mit der Psychoedukation von Angehörigen) behandelt. Atypische Antipsychotika kommen mitunter zum Einsatz, da sie stereotype Verhaltensweisen sowie zusätzliche Verhaltensauffälligkeiten wie Selbst- und Fremdaggressionen verbessern. Bei komorbiden Erkrankungen wie Depressionen eignen sich beispielsweise selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) zur Linderung der Symptome.
Hoffnung auf eine medikamentöse Therapie
Im Januar diesen Jahres kursierte die Meldung, dass es erstmals ein orales Medikament zur Verbesserung von Autismus-Störungen gibt: Der Pharmakonzern Roche erhielt von der US-Gesundheitsbehörde FDA den Breakthrough-Status für das Arzneimittel Balovaptan (https://www.roche.com/investors/updates/inv-update-2018-01-29.htm), welches zu den sogenannten Vasopressin 1a (V1a)-Rezeptorantagonisten zählt. Die Wirkung des Medikaments wird derzeit in weiteren Studien untersucht.
Martina Görz
Quellen:
- Berk, L.E. (2011). Entwicklungspsychologie. München: Pearson.
- Lohaus, A., Vierhaus, M. & Maass, A. (2010). Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters. Berlin, Heidelberg, New York: Springer.
- autismus Deutschland e.V.
- Autismus: Leben in einer eigenen Welt, Pharmazeutische Zeitung, 2008
- Autismus-Forschung: Roche erhält Breakthrough-Status für Balovaptan; Deutsche Apotheker Zeitung
- Autismus-Spektrum-Störung: Ein Leben lang anders; spektrum.de
- Therapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, psychosomatik und -psychotherapie; Neurologen und Psychiater im Netz
- Der Atypische Autismus; Autismus Therapie Zentrum Niederrhein